Das Blut der Unsterblichen
vertraut.
Als das Lied irgendwann zu Ende war - vielleicht waren es auch mehrere Lieder gewesen - standen sie noch eine ganze Weile eng umschlungen beieinander. In Kristinas Kopf summte es wie in einem Bienenstock und sie fühlte sich seltsam entrückt, wie aus einem Traum erwacht. Verwirrt löste sie sich von ihm und eilte zu ihrem Tisch zurück, der noch immer verwaist am Rande der Tanzfläche stand.
Marcus folgte ihr. „Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Ja, natürlich“, antwortete sie. Wie könnte sie es nicht wollen, nach dem Tanz eben?
Er bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, doch die laute Musik machte eine flüssige Unterhaltung unmöglich. Jeden zweiten Satz beantwortete sie mit einem „was?“, oder „ wie bitte? Das war ihr umso peinlicher da er, im Gegensatz zu ihr, keinerlei Verständigungsprobleme zu haben schien. Nie fragte er nach und verstand alles, was sie von sich gab. Weil sie die Gesprächsversuche anstrengend und peinlich fand, schlug sie einen weiteren Tanz vor. Marcus erhob sich mit einem „sehr gerne“ und führte sie auf die Tanzfläche zurück.
Es erstaunte sie, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich an ihn schmiegte und wie sehr sie es genoss, und fragte sich flüchtig, ob er ihr vielleicht etwas in den Drink gemischt hatte.
Nach dem Tanz startete Marcus einen weiteren Versuch, eine halbwegs flüssige Unterhaltung zu führen, doch auch der zweite Versuch misslang kläglich. Nach quälenden dreißig Minuten, in denen Kristina immer wieder mehrere Anläufe gebraucht hatte, um einen einzigen Satz zu verstehen, kapitulierte sie.
„Ich muss hier raus“, sagte sie genervt. Das war ihr plötzlich klar geworden, und noch ehe sie weiter darüber nachgedacht hatte, hatte sie es auch schon ausgesprochen. Sie wollte gehen, unbedingt und so schnell wie möglich.
Er seufzte. „Ich bin froh, dass du das sagst, denn mir geht es ebenso. Wo ist deine Freundin? Musst du ihr Bescheid geben?“
„Nein, sie kommt schon klar.“
„Das ist gut. Wollen wir gehen?“ Er erhob sich und deutete Richtung Ausgang.
Kristina zuckte mit den Schultern, schnappte ihre Handtasche und folgte ihm nach draußen. Er führte sie zu einem schwarzen Mercedes, der direkt neben dem Gebäude geparkt war.
„Wie protzig“, bemerkte Kristina, die bei dem Anblick der Limousine unwillkürlich an ihren alten Golf denken musste. „Darfst du hier überhaupt parken oder ist das ein Privileg für Mercedesfahrer?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich kenne den Besitzer des Clubs und darf seinen Privatparkplatz nutzen.“
Kristina, die Männern mit teuren Autos eher ablehnend gegenüberstand, hob die Augenbrauen und grinste abfällig. „Du bist also ein Mann mit Mercedes und guten Beziehungen. Dich sollte ich mir wohl halten.“
„Du machst dich über mich lustig“, stellte Marcus fest.
Sie zuckte mit den Schultern. Er öffnete die Beifahrertür und bedeute ihr, einzusteigen. „Mach dir keine falschen Vorstellungen, es handelt sich um einen Firmenwagen.“
Kristina beäugte das Wageninnere und der Gedanke, wie leichtsinnig es doch war, mit einem Fremden zu fahren, streifte ihr Bewusstsein, doch schnell verdrängte sie die Bedenken und ließ sich stattdessen auf das kühle Leder gleiten. Ein Grinsen stahl sich auf ihre Lippen bei der Vorstellung, was ihre Freundinnen dazu sagen würden, allen voran Pia, die ihre Männer grundsätzlich nach der Höhe ihres Einkommens auswählte.
„Soll ich dich nach Hause bringen oder möchtest du noch irgendwo anders hingehen?“, fragte er.
Kristina dachte an den Kriminalroman, den sie sich am Tag zuvor gekauft hatte, an den Ventilator neben ihrem Bett und daran, dass sie sowieso nicht hatte ausgehen wollen. „Wenn du mich nach Hause fahren könntest, wäre ich dir sehr dankbar.“
Marcus startete den Wagen. „Wo wohnst du?“
„Ich zeig’ dir den Weg“, sagte Kristina.
Kaum hatte er den Parkplatz verlassen, stellte sie entsetzt fest, dass er noch schneller fuhr als Pia. Im ersten Moment überwog das Staunen darüber, dass dies überhaupt möglich war, doch schnell wich ihre Überraschung echter Angst. Kurz vor ihrem achten Geburtstag war ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und sie verspürte keine Lust, sein Schicksal zu teilen.
„Hast du es eilig?“, fragte sie.
„Nein, wieso?“
„Weil du so rast.“
Marcus lächelte entschuldigend. „Tut mir leid, ich habe einen Hang zu schnellem Autofahren, doch sei unbesorgt, ich
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