Das Blut Des Daemons
…
»Mädchen, was …« Eine Hand an meiner Schulter. Mit einem wimmernden Schrei streifte ich sie ab, fuhr herum, flüchtete wieder gänzlich auf den Gang hinaus. Die Hand kehrte zurück, erwischte mich am Arm, verhinderte, dassich mehr als zwei Schritte weit kam, drückte mich gegen die Wand. »Was zum …« Radu. Mein Großvater. Er hielt mich fest. Atmen, ich musste atmen.
»Ich kann nicht«, brachte ich irgendwie heraus. O Gott. O großer Gott. Es war, als wäre ich wieder in meinem Zimmer in Ashland Falls. Mit Julien, blutend – verblutend – auf dem Boden, blinder Gier, in der ich die Zähne in seinen Hals gegraben hatte …
Der Griff an meinem Arm war härter geworden. Ich blinzelte. Zwischen den schwarzen Brauen meines Großvaters stand eine tiefe, senkrechte Falte. »Was soll das heißen: › Ich kann nicht ‹?«, fuhr er mich an. »Das da drin ist ein erbärmlicher kleiner Streuner. Wahrscheinlich hat er zugestimmt, Michail zu begleiten, weil er dachte, er verkauft seinen Körper für ein paar Francs, um irgendeinem Künstler nackt Modell zu sitzen. Er ist vollkommen bedeutungslos. Alles, was zählt, ist sein Blut. Das Blut eines gesunden, jungen Menschen; sauber, ohne Drogen oder Krankheiten. Nimm dir, was du brauchst, und vergiss ihn wieder.« Die Verachtung, mit der er von dem Jungen sprach, ließ einen Schauer über meinen Rücken kriechen. »Michail wird ihn dahin zurückbringen, wo er ihn herhat. Mit mehr Geld in der Tasche, als er sonst in einem Monat sein Eigen nennen kann.« In einer Geste, die unmissverständlich › Geh hinein und trink ‹ sagte, wies er zur Tür zurück.
Ich schüttelte den Kopf, wiederholte nur: »Ich kann nicht.«
»Und warum nicht?« Zu dem Ärger kam Ungeduld.
Weil ich auf dem Bett nicht irgendeinen unbekannten jungen Mann sehe, sondern meinen Freund, nachdem ich ihm die Kehle herausgerissen und ihn beinah umgebracht habe. Um ein Haar hätte ich die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, um daraufzubeißen. In letzter Sekunde erinnerte ich mich anmeine derzeit geradezu qualvoll langen Eckzähne und presste stattdessen die Handflächen gegen meine Jeans. Radu deutete mein Zögern anders.
»Bedeutet das, du hast noch nie von einem Menschen getrunken?«
Nun, auch das war eine Tatsache. Ich presste die Lippen aufeinander und schüttelte erneut den Kopf. Einen Augenblick musterte er mich. »Hast du bisher nur das Blut deines Leibwächters getrunken?«, wollte er dann wissen. In seinen Worten war ein erschreckend harter Unterton.
Beklommen nickte ich. Für einen Atemzug wurden die Augen meines Großvaters schmal.
»Gibt es hier irgendwelche Probleme?« Vlads Stimme ließ mich zusammenzucken. Radu stieß den Atem mit einem Zischen aus und drehte sich zu ihm um.
»Wie man es nimmt«, meinte er sarkastisch.
Ich hatte mich aus seinem Griff befreit und hastete meinem Onkel entgegen.
»Was ist mit … mit …?« Wusste Radu, welcher der Du-Cranier-Zwillinge bei mir war? Hatte Vlad ihn ins Vertrauen gezogen? Ich konnte es nicht sagen.
»Was soll das heißen?« Vlad fasste mich am Arm, drehte mich um, ohne auch nur im Schritt zu stocken – oder auf meine Frage zu reagieren –, und führte mich zurück an Radu vorbei, wobei er mich mit einem Blick unter hochgezogenen Brauen bedachte, ehe er mich wieder losließ und in das Zimmer hineinschaute. Und nickte.
»Ich verstehe.« Seine Augen kehrten zu mir zurück. »Da hat Michail wohl eine etwas unglückliche Wahl getroffen.«
»Was ist mit …?«, setzte ich erneut an, doch keiner von beiden gönnte mir auch nur den Hauch seiner Aufmerksamkeit. Meine Kehle zog sich zusammen. Warum sagte Vlad mir nicht, was er am Telefon erfahren hatte?
»Sie hat bisher nur von Du Cranier getrunken«, ließ mein Großvater sich verwirrend kühl vernehmen und verschränkte die Arme vor der Brust, während er sich gleichzeitig hinter uns nachlässig mit der Schulter gegen die Wand lehnte.
Etwas in der Art, wie Vlad mich anschaute, veränderte sich. »Ist das so?«
»Ja, aber was ist mit Jul…« Ich biss mir auf die Lippe. Und schmeckte mein eigenes Blut. Radu neigte fragend den Kopf.
»Jul…« wiederholte er, ehe er über mich hinweg Vlad ansah. »Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?« Sein Ton war harmlos und sehr, sehr gütig.
Vlad warf mir einen kurzen unwilligen Blick zu. »Bei ihrem Leibwächter handelt es sich nicht um Adrien Du Cranier, sondern um Julien«, erklärte er dann mit einem Schulterzucken.
»Der Du Cranier,
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