Das Blut Des Daemons
Schmetterling.
Ich brauchte einen sehr langen Moment, bis ich zumindest ein schwaches »Hallo« herausbrachte.
Radu nickte mir zu. »Vlad hat mir von dir erzählt. Ich wollte dich in den letzten Wochen schon mehrfach in den Staaten besuchen, um endlich die Tochter meines Sohnes kennenzulernen. Aber leider haben es mir meine Geschäfte nicht erlaubt. Ich hoffe, du verzeihst mir.« War ein Nicken eine passende Antwort? Ich versuchte es und wurde mit einem kleinen Lächeln bedacht. »Aber soweit ich aus der Ferne verfolgen konnte, hat Vlad sich gut um dich gekümmert.« Er musterte mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. »Ich glaube, eine Umarmung oder gar einen Kuss auf die Wange sparen wir uns für später, Mädchen. Du siehst aus, als würdest du mir jeden Moment die Zähne in den Hals schlagen.« Über meine Schulter hinweg sah er Vlad an. »Hat es irgendeinen Grund, dass du deine Großnichte verhungern lässt?« Die Worte klangen nicht nach einem Tadel, sondern eher belustigt.
Der schnalzte unwillig mit der Zunge. »Wir waren geradeauf dem Weg. Du kannst dich uns gerne anschließen.« Mit einem Nicken bedeutete Vlad mir, ihm zu folgen, und verließ sein Arbeitszimmer. Radu trat beiseite, als ich an ihm vorbeiging. Mein Großvater … bei seinem Anblick bekam das Wort einen absurden Klang. Er war so … jung. – Und ich hatte so viele Fragen an ihn; über meinen Vater, ihn selbst, meine Großmutter; einfach alles … Doch zugleich ließ der Hunger in meinem Inneren im Moment kaum einen anderen vernünftigen Gedanken zu – zumindest nicht für längere Zeit. Selbst meine Sorge um Julien drohte neben der Gier unbedeutend zu werden und ich hasste mich dafür. Ich drückte die Arme gegen meinen Bauch. Das alles würde warten müssen. Meine Schritte waren vielleicht ein wenig hastig, als ich Onkel Vlad hinterhereilte. Um zu wissen, dass mein Großvater nur knapp hinter mir war, musste ich mich nicht umdrehen.
Es ging nur ein kurzes Stück den Korridor hinunter, bis mein Onkel eine in der Täfelung verborgene Tür öffnete und mich in einen schmalen und deutlich schlichteren Gang führte, der wohl zu so etwas wie den Dienstbotenquartieren gehörte. Als Radu sie hinter uns wieder schloss, kroch ein Zittern in meine Glieder. Sie waren so nah … so nah … Ich krallte mir selbst die Fingernägel in die Handflächen.
Wir hatten gerade die erste von drei, vielleicht auch vier Türen passiert, die sich in unregelmäßigen Abständen auf der rechten Seite des Ganges befanden, als die an seinem Ende wieder geöffnet wurde.
»Doamne Vlad!«
Ich erkannte Michails Stimme. Vor mir blieb mein Onkel stehen und drehte sich um. »Was gibt es?«
»Ein Anruf. Der Rat.«
Vlads Blick zuckte zu mir, ehe er zu Michail zurückkehrte. »Ich komme.«
Hastig wich ich zur Seite hin aus, als er an mir vorbeiging.
»Kümmere dich um sie. Die vorletzte Tür«, wies er Radu noch an, dann strebte er auch schon mit schnellen Schritten auf Michail zu und verschwand mit ihm in den großen Korridor. Mit wild klopfendem Herzen sah ich ihm nach. Alles wird gut, Julien. Bitte, halte durch. Als mein Großvater sich räusperte, zuckte ich zusammen.
»Du hast ihn gehört. Die vorletzte Tür. – Wollen wir?« Er wies den Gang entlang. Ich schluckte, nickte und ging vor ihm her, bis wir besagte Tür erreichten, wo er an mir vorbeigriff und sie für mich aufstieß. Der Raum dahinter war einfach eingerichtet: gefliester Boden, weiße Raufaser an den Wänden, gedämpftes Licht, keine Fenster. Dazu ein Schrank, Stuhl und Tisch, auf dem eine Schale mit Obst und Gebäck, eine Flasche Wasser oder Limonade und ein Glas standen. Ein etwas breiteres Bett. Und darauf … Der Geruch von Blut schlug mir entgegen. Ein junger Mann, schlank, beinah zu schlank, seine Jeans waren an den Enden ausgefranst, das T-Shirt hatte mehr als ein Loch. Er lag auf der Seite, scheinbar entspannt, hatte uns den Rücken zugedreht. Reglos. Doch alles, was ich sah, war das schwarze Haar, knapp schulterlang, zerzaust … Ich stand im Türrahmen und konnte mich nicht rühren, nicht atmen. Mein Kiefer pochte. Feuer brannte in meinen Adern. Julien … Julien lag da. Bleich. Die Kehle aufgerissen. Unter ihm ein roter Fleck auf dem Teppich. Blut … Blut, das aus dem Loch an seinem Hals lief. Über seine Haut rann. Herabtropfte. Auf den Teppich. Den Teppich mit dem roten Fleck. Rot. Rot … und süß. So süß, dass ich nicht mehr aufhören konnte. Aufhören … aufhören
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