Das Blut Des Daemons
hineinzulöffeln. – An diesem Nachmittag hatte ich zum ersten Mal Blut gespuckt. Julien hatte mich festgehalten, bis es endlich vorbei war, mich anschließend in mein Bett gebracht und danach Stunde um Stunde für mich Geige gespielt. Irgendwann musste er wohl angenommen haben, dass ich eingeschlafen war, und ging aus aus meinem Zimmer. Die Tür ließ er offen. Ich schloss die Augen. Adrien hatte ab einem gewissen Punkt laut genug gebrüllt, dass ich ihn noch aus dem Flur heraus gehört hatte – allerdings ohne ein Wort zu verstehen, da beide Französisch gesprochen hatten. Und das viel zu schnell für meine begrenzten – oder besser: so gut wie nicht existenten – Kenntnisse. Als Julien schließlich auflegte, hatte er sich nicht verabschiedet. Hatte er gewusst, dass Adrien hierherkommen würde? Dann hätte er mich wohl kaum allein gelassen. Es sei denn, er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Zwilling sich mit Mordgedanken gegen mich tragen könnte. Oder hatte er schlicht vorgehabt, wieder zurück zu sein und seine Pläne in die Tat umgesetzt zu haben, bevor Adrien hier auftauchte? – Pläne, die er nicht mit mir besprochen hatte. Er hatte einfach eine Entscheidung getroffen. Über meinen Kopf hinweg. Wie er es immer tat. Obwohl ich mehr als einmal versucht hatte ihm klarzumachen, dass ich genug davon hatte, dass andere über mich bestimmten, nachdem Samuel genau das mein ganzes Leben getan hatte. Und nun war er in Marseille – Marseille! – und holte dieses Blut, um … um … Ach, verdammt, Julien. Warum konntest du mir nicht sagen, was du vorhast? Ein Teil von mir wollte wütend auf ihn sein. Der andere hatte einfach nur Angst.
»Und was tun wir jetzt?«, fragte ich irgendwann in die Stille hinein, als ich es nicht mehr aushielt.
»Wir warten auf meinen Bruder.« Adrien hatte sich wieder in meinem Schaukelstuhl niedergelassen und fuhr mitden Fingerspitzen die Linien des Rattans an der Armlehne nach. »Du kannst ganz beruhigt sein. Dich töten zu wollen war eine Kurzschlussreaktion. Eine Verzweiflungstat. Wie ich schon sagte: Ich will nicht, dass Julien noch einmal einen solchen emotionalen Schock erleidet wie damals. Das werde ich ihm nicht antun. Das Risiko ist zu groß, dass er dieses Mal endgültig zerbricht.«
Ich lachte bitter. »Dafür lässt du ihn dabei zusehen, wie ich sterbe.«
Abermals erschien die Linie zwischen seinen Brauen. »Das ist etwas anderes. Er kann sich darauf vorbereiten. Er kann … Abschied nehmen.«
»Und du bist fein raus!« Ich klang ätzender, als ich vorgehabt hatte. In meinen Eingeweiden brannte wieder dieser nur zu bekannte dünne Schmerz. Manchmal hatten meine Anfälle tatsächlich die Güte, sich vorher anzukündigen. Manchmal erwiesen die Anzeichen sich aber auch als falscher Alarm. Im Augenblick hoffte ich auf Letzteres, während ich die Hand auf meinen Bauch drückte. Das Letzte, was ich wollte, war, mich noch einmal vor Adrien in ein spuckendes Bündel Elend zu verwandeln. Einmal war genug. Danke.
»Musst du ins Bad?« Adriens Stimme erschreckte mich. Er hatte sich halb aus meinem Schaukelstuhl erhoben. Anscheinend rechnete er damit, mich im nächsten Moment vom Bett und nach nebenan zur Toilette schleppen zu müssen. Bei jedem anderen hätte ich das Bad jetzt vielleicht als Ausrede benutzt und versucht zu fliehen, aber bei Adrien – und in meinem Zustand – war das sinnlos. Ich würde es vermutlich noch nicht einmal bis auf das Dach der Veranda schaffen, die im Erdgeschoss um das ganze Haus lief, ehe er mich wieder eingefangen hatte. Die Lippen zusammengepresst schüttelte ich den Kopf. Er sank auf den Sitz zurück, sah mich aber weiter aufmerksam an.
»Brauchst du etwas zu essen?«
Hatte er nicht mitbekommen, wie meine Innereien auf ein paar Schlucke Cola reagierten? Offenbar hatte ich ein leises Schnauben von mir gegeben, denn sein Blick veränderte sich. Er musterte mich eindringlicher, seine Nasenflügel blähten sich einmal kurz, als er deutlich tiefer als zuvor die Luft einsog.
»Du trinkst von meinem Bruder.«
War in seinem scheinbar so beherrschten Ton eben nicht doch so etwas wie Widerwille gewesen? Offensichtlich blieb ich ihm die Antwort zu lang schuldig, denn einen Moment später nickte er.
»So weit ist es also schon.«
Ich biss die Zähne zusammen. Er hatte ja keine Ahnung.
Als Bastien in der Lagerhalle beim Industriedock von Ashland Falls diesen jungen Vampir auf Julien losgelassen hatte, um ihn zu demütigen und zu quälen, hatte er
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