Das Blut Des Daemons
in Erinnerung. Mein Oberkiefer schien in Flammen zu stehen. In seiner Ecke wurde Julien immer unruhiger. Bis er schließlich abrupt aufsprang und an der gegenüberliegenden Wand auf und ab zu tigern begann. Wie ein Raubtier in seinem Käfig. Auf und ab. Auf und ab. Die Hände zu Fäusten geballt, die Schultern verkrampft hochgezogen. Auf und ab. Immer darauf bedacht, mir nicht zu nahe zu kommen; noch nicht einmal zu mir herzusehen. Ein paarmal sog er unvermittelt mit einem Keuchen die Luft ein, blieb – eine Hand an die Wand gestützt – stehen und presste den anderen Arm auf den Leib, nur um seine Wanderung nach einigen Augenblicken wieder aufzunehmen. Irgendwann jedoch veränderte sich etwas. Er hatte den Kopf gehoben, als würde er auf etwas lauschen, sein Blick zuckte zu mir – und er marschierte weiter auf und ab. In der nächsten halben Stunde wiederholte sich dieses Stehenbleiben-Lauschen-Zumirhersehen-Weitertigern in einem nervenaufreibenden Fast-Minutentakt, dass ich mir selbst die Fingernägel in die Handflächen grub, während ich gegen den Drang ankämpfte, Julien anzuschreien, er solle sich endlich wieder hinsetzen oder zumindest für mehr als ein paar Minuten irgendwo stehen bleiben.
In dem Moment, in dem ich spürte, dass die Sonne draußen endgültig untergegangen und auch der letzte Rest Sonnenlicht verblasst war, stürmte Julien zur Tür.
Hastig sprang ich auf. »Julien …«
Beinah ebenso wild wie vor einigen Stunden, als er gerade erst wieder zu sich gekommen war, fuhr er zu mir herum; die Augen noch immer schwarz und … seltsam. Er starrte mich an, eine Sekunde, zwei, drei … Ich streckte einmal mehr die Hand nach ihm aus, machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. Seine Nasenflügel blähten sich. Heftig schüttelte er den Kopf. »Ich … ich muss … kann nicht …« Er riss die Türso hart auf, dass sie gegen die Wand krachte, und floh stolpernd die Treppe hinauf.
»Julien! Nein …« Ich rannte ihm nach.
Er war in der Halle, hatte die Jacke schon in der Hand, zerrte gerade den Schlüssel der Vette aus der Tasche, bereits auf dem Weg zur Haustür.
Ich stand da, rang die Hände und wusste nicht, wie ich sagen sollte, was ich ihm sagen wollte.
»Julien, bitte …«, war alles, was ich herausbrachte. Bitte komm wieder. Bitte hass mich nicht! Nichts davon wollte über meine Lippen. Er schob sich an mir vorbei. Auf der anderen Seite des Flures. Den Rücken zur Wand. Was hab ich getan? Zur Haustür.
»Julien …«
Abermals schüttelte er den Kopf, während er sie beinah ebenso heftig aufriss wie die Tür des Kellerraums. Doch dann blieb er im Rahmen stehen, zögernd, zitternd.
»Bleib hier, wenn du kannst«, presste er hervor. Er sah mich nicht an. Damit war er hinaus.
Ich starrte die Tür an. Draußen röhrte der Motor der Vette auf, ich konnte den Kies unter den Reifen spritzen hören. Ich starrte weiter die Tür an, wie gelähmt. Selbst als es auf ihrer anderen Seite schon wieder still war. In meinem Kopf waren nur zwei Gedanken: Bitte komm wieder, Julien! und Bitte hass mich nicht!
Z uerst kam der Schmerz. Dann die Gier. Alles verzehrender Hunger. Und dann … Es wird keine Sonne mehr für mich geben. – Genau das, was Gérard mir dafür versprochen hat, dass ich Raoul zu einem Vampir gemacht habe: ein Dasein als Vampir. Blut für Blut. Nach den alten Gesetzen. Nun muss er sich noch nicht einmal selbst die Hände schmutzig machen. Dawn hat ihm die Arbeit abgenommen. Welch ein köstlicher Spaß für ihn. Vielleicht kann ich ja hoffen, dass er sich totlacht? – Nein, den Gefallen wird er mir sicher nicht erweisen.
Ich zittere wie ein Junkie auf Entzug. Am ganzen Körper. Meine Adern stehen in Flammen und fühlen sich gleichzeitig an, als seien sie vollkommen ausgedörrt. Kaum dass ich einen klaren Gedanken fassen kann. Von zusammenhängend reden wir besser gar nicht. Immer wieder schweifen sie ab. Dazu, wie es sich anfühlt, einem Menschen die Zähne in den Hals zu schlagen, der Geschmack von Blut, wie es die Kehle hinabrinnt … Selbst kurz nach meinem Wechsel hat es sich nicht so angefühlt. Vielleicht weil Adrien da war? Der Boden unter meinen Füßen vibriert im Takt der Bässe.
Die Stunden mit Dawn in diesem Keller … die absolute Hölle. Sie so nah. Die Witterung ihres Blutes. Das Blut einer Princessa Strigoja. So süß. Purer Sirenengesang. Die Gier, die mit jedem Atemzug schlimmer wird. Und keine Chance, mehr Distanz zwischen uns zu bringen als ein paar magere
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