Das Blut Des Daemons
sein konnte, dann war das bei mir gerade der Fall. Julien war wieder da. Mal ganz abgesehen davon, dass er nicht zulassen würde, dass mir irgendetwas geschah: Er war wieder da!
Groteskerweise kam die Angst mit zitternden Händen und einem Knoten im Magen auf der Hälfte der Treppe zurück.
In meinem Zimmer tastete ich mich, so schnell ich konnte, durch meinen Kleiderschrank, stieg in dunkle Jeans und fand sogar ein Sweatshirt mit Kapuze in etwas, von dem ich nicht sicher sagen konnte, ob es Schwarz oder Dunkelblau war. Die Schuhe erwiesen sich als Problem. Entweder waren sie hell oder hatten Absätze. Schließlich entschied ich mich für ein Paar weinrote Laufschuhe und hoffte, dass die Farbe dunkel genug war. Nachdem ich Julien vor zwei Tagen – waren es tatsächlich erst zwei Tage gewesen? – meine Schals überlassen hatte, entpuppte sich auch die Sache mit dem Tuch als nicht ganz so einfach. Tücher – wie in quadratisch und nicht übermäßig groß – existierten in meiner Garderobe nicht. Letztendlich fand ich einen dünnen Fleece-Schal, der für deutlich kältere Jahreszeiten gedacht sein musste.
Was Minas Rubine betraf – ein Schmuckhalsband aus geschwärztem Silber und tiefroten Rubinen, die ich ursprünglich für Swarovski-Kristalle gehalten hatte, das meinGroßonkel Vlad mir zum Halloween-Ball geschenkt und das vor sehr langer Zeit seiner menschlichen Geliebten Wilhelmina Harker gehört hatte –, benötigte ich nur einen Griff, da es bisher das einzige Stück in meiner Schmuckschatulle war. Allerdings bebten meine Finger so sehr, dass ich mehrere Versuche brauchte, bis ich es in meinem Nacken geschlossen hatte.
Ob ich mehr als fünf Minuten benötigt hatte? Ich hätte es beim besten Willen nicht sagen können, als ich mich wieder auf den Weg hinunter machte. Und obwohl ich wusste, dass Julien mich in der Halle erwartete, fuhr ich mit einem Keuchen herum, als er sich dann lautlos aus der Schwärze unter der Treppe löste, in der sich die Tür zum eigentlichen großen Keller verbarg.
Wie zuvor trat er ganz dicht hinter mich. – Und prompt weckte ihn so nah bei mir zu haben die Gier nach seinem Blut in mir. Ich konnte spüren, wie meine Eckzähne weiter aus meinem Kiefer drangen.
»Sie sind zu fünft. Zwei im Auto, bei der Auffahrt. Drei ums Haus. Die Seite zum See ist frei. Für den Moment. Ich schätze, sie merken es schneller, als uns lieb ist.« Ich spürte, wie Julien gepresst direkt neben meinem Hals Atem holte. »Wenn ich sage: ›Renn‹, dann rennst du. Dreh dich nicht um. Egal was du hörst, egal ob du das Gefühl hast, ich bin hinter dir, oder nicht. Die Vette steht Lincoln, Ecke Harring. Der Ersatzschlüssel liegt auf dem Hinterrad, Fahrerseite. Falls wir getrennt werden, treffen wir uns da. Bin ich nicht da, warte nicht. Nimm die Vette und fahr zu Susan. Von da rufst du Vlad an. Er soll dich holen. Persönlich. Bleib bei Susan, bis er kommt. Geh nur mit ihm mit.«
»Und du …«
»Ich komme zu Susan.«
… wenn ich kann . Ich glaubte die Worte zu hören, ohne dass er sie aussprach.
Ehe ich noch etwas sagen konnte, flüsterte er: »Komm jetzt. Und kein Laut«, kam um mich herum, legte noch einmal nachdrücklich den Finger auf die Lippen und bedeutete mir, ihm zu folgen – zu den Glastüren, die vom hinteren Wohnzimmer auf die Veranda hinausführten.
Für einen Augenblick spähte er hinaus, wobei er gleichzeitig auf jedes Geräusch zu lauschen schien. Die Dunkelheit jenseits der Scheibe war auch für mich wieder ein sanftes Halblicht; nicht taghell, aber hell genug, dass ich sogar Details noch gut erkennen konnte.
Abgesehen von den ersten Bäumen, dort, wo ein Stück weit hinter der Veranda das kleine Wäldchen begann, war nichts zu sehen. Selbst zwischen den Bäumen bewegte sich nichts. Das Mondlicht glänzte auf dem nassen Gras und schimmerte in den Pfützen, die der Regen auf dem Boden hinterlassen hatte. Offenbar konnte auch Julien nicht mehr erkennen, denn er gab mir noch einmal mit einer Geste zu verstehen, leise zu sein, dann entriegelte und öffnete er einen der beiden Türflügel, ergriff mich am Arm und führte mich lautlos und angespannt – und schnell – über die hölzernen Verandadielen, die beiden Stufen hinunter auf den Wald zu. Dabei blickte er sich immer wieder nach allen Seiten um. Schon nach wenigen Schritten waren meine Schuhe vom feuchten Gras durchweicht. Ich wagte kaum zu atmen.
Als wir die ersten Bäume erreichten, nahm Juliens Anspannung keineswegs
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