Das Blut Des Daemons
können, und brauchte eine weitere halbe Minute, bis ich sie endlich in meinem Nacken geschlossen hatte und sie unter mein Shirt gleiten lassen konnte. Angespannt warf ich einen Blick in den Ankleidespiegel mir gegenüber. Nein! Man konnte die Kette selbst zwar in meinem Nacken sehen, aber sie war lang genug, dass man nicht erkennen konnte, was daran hing. Die Lippen zusammengepresst drückte ich die Hände auf meine Brust, dort, wo ich das Gold von Medaillon und Röhrchen auf der Haut spüren konnte. Julien hatte es ebenso getragen. Ich schluckte gegen den Kloß an, der mir unvermittelt zum unzähligsten Mal die Kehle zuschnürte. Bitte, Julien, du musst durchhalten!
D as Licht tut weh. Der Schmerz ist seltsam anders. Aber deshalb nicht weniger real. Er geht tiefer, bleibt nicht auf der Haut. Dabei fällt durch den Luftschacht oben, unter der Decke, nur ein schmaler Streifen Helligkeit, der noch nicht einmal den Boden erreicht. Die Öffnung ist kaum größer als eine Faust. Am anderen Ende doppelt verglast. Schreien vollkommen nutzlos. Als ob ich das tatsächlich versuchen würde. Das Anwesen ist viel zu groß. Das Haus viel zu weit von der Straße entfernt.
Früher war das hier der Keller für die weniger teuren Weine. Die, die man Gästen vorsetzte, für die man keine Zigtausend-Franc-Flasche öffnete. Zuletzt hatten diese Weine dazu gedient, irgendwelche deutschen Besatzer zu bestechen. Heute ist es eine Zelle. Glatte Wände. Kalt in meinem Rücken. Eine massive Tür. Nichts sonst. Dass Gérard so etwas in seinem Domizil nötig hat, ist mehr als aufschlussreich – für mich aber ohne Bedeutung.
Auch wenn die Helligkeit nicht hereinfallen würde, könnte ich sagen, ob wir Tag oder Nacht haben: Die Tag-Lethargie der Vampire sitzt mir in den Knochen. Macht mich langsam. Matt. Stiehlt mir einen Teil meiner Kraft. Einen zu großen Teil. – Zusammen mit dem Hunger. Ebenso wie die Sonne brennt er in den Adern, in meinem Oberkiefer. Meine Eckzähne ragen viel zu weit über die anderen hinaus. Ein Blick und jeder weiß, was Sache ist. Nicht dass Gérard daran etwas ändern wird.
Es muss fast Mittag sein.
Schritte vor der Tür verraten, dass ich Besuch bekomme. Natürlich. Wann sonst? Die Witterung ist unverkennbar. Erstaunlich. Macht die Krankheit einen Lamia nicht extrem lichtempfindlich? Beinah wie einen Vampir?
Er ist nicht allein. Drei weitere Lamia. Einer davon ist Jérôme. Er war auch an Bord des Bootes, das ich vor der Calanque gehört habe.
Die Tür öffnet sich ebenso geräuschlos wie zuvor, als sie mich hier hereingestoßen haben. Der Sack, den sie mir über den Kopfgezogen hatten, liegt immer noch auf dem Boden. Aber wie hätte ich dieses Haus nicht wiedererkennen können.
Er kommt allein herein. Seine Wachhunde bleiben im Gang. Wie immer, wenn ich ihn sehe, kochen Erinnerungen hoch.
Einen Moment lang mustert er mich. Ja, deine Handlanger waren nicht gerade sanft auf dem Weg hierher.
»Hallo, Onkel.«
Aus seiner Befriedigung wird Ärger.
»Wage es nicht, mich so zu nennen, du Missgeburt. – Vor allem jetzt nicht mehr. – Und steh auf, wenn du mit mir sprichst, oder sollen Jérôme und Thierry nachhelfen?«
Ich bleibe noch ein paar Sekunden länger in meiner Ecke sitzen, ehe ich mich vom Boden hochdrücke. Ja, dass Jérôme nicht gut auf mich zu sprechen ist, hat er mir schon auf dem Flug gezeigt. Etwas anderes war aber auch nicht zu erwarten. Immerhin waren er und Simeon schon damals mehr als nur Freunde . Im Augenblick ist mein Bedarf an seinen Zuwendungen gedeckt, danke. »Ich war mir nicht bewusst, dass du in einer solchen Situation tatsächlich gute Manieren von mir erwartest, Onkel. – Verzeihung, Gérard.«
»Für dich immer noch Doamne d’Orané.«
Nur über meine Leiche. »Nach den Gesetzen der Höflichkeit müsste ich jetzt eigentlich sagen: › Du siehst gut aus ‹, aber das wäre eine Lüge. Du verzeihst also, wenn ich es lasse.« Er ist gealtert. Wirkt wie ein Mann weit jenseits der vierzig. Abgemagert. Hohlwangig. Haut wie Pergament. Rissig. Seine Augen sind trüb. Selbst in diesem Licht. Die Krankheit. Noch nicht im Endstadium, aber auch nicht mehr allzu weit davon entfernt. Ihm läuft die Zeit davon. – War er deshalb hinter Dawn her? Verspricht er sich dieselbe Hilfe von ihrem Blut – beziehungsweise dem der Princessa Strigoja – wie ich mir bei ihr von dem der Ersten? Fast kann ich ihn verstehen. Aber auch nur fast .
»Welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen,
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