Das Blut des Mondes (German Edition)
sowieso hier, um Stephen eine Abreibung zu verpassen? Um das zu beenden, was er auf dem Schulhof angefangen hatte? Dass der, trotz seiner Körpermasse, den Kürzeren ziehen würde, davon war Ric überzeugt.
Gerade hatte er sich durchgerungen, Stephen hinterher zu gehen, da kam er wieder aus dem Gebüsch heraus. Allein. Die andere Gestalt war nirgends zu sehen. Ric öffnete die Tür seines Mustangs, Stephen war nur noch wenige Schritte von seinem Bus entfernt, da klingelte Rics Handy. So leise wie möglich schloss er fluchend die Tür wieder, fummelte in seiner Jackentasche nach seinem Telefon und sah auf den Namen im Display. Ric seufzte, sank tiefer in den Sitz und nahm das Gespräch entgegen.
„Dionne, was gibt es?“
***
Ann saß auf dem Sofa und wartete, während Levian sich aus seinen Arbeitsklamotten schälte und danach schnell die Hände wusch. Zu mehr hatte er jetzt keine Ruhe. Er wollte wissen, was Ann gefunden hatte. Sie war bei sich zu Hause gewesen, hatte sie gesagt. Welches zu Hause meinte sie? Bei ihren Eltern? Er vermutete es, aber das würde sie ihm ja sicherlich gleich erzählen. Außerdem - Rot zu Rot – der Satz aus dem Buch ließ ihn nicht mehr los, seit Ann ihn am Telefon erwähnt hatte.
Er schenkte zwei Becher Kaffee ein, fügte in einen extra viel Milch hinzu, rührte um und setzte sich damit zu Ann auf das Sofa. „Hier“, sagte er und reichte ihr einen davon.
„Danke.“
„Also?“, fragte er, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. „Was genau hat dieser Satz zu bedeuten?“ Neugierig sah er sie an.
Ann druckste rum. Er sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, ihm davon zu erzählen. Aufmunternd drückte er ihre Hand. „Hey, nun bist du extra deswegen zu mir gekommen. Also, erzähl schon. Wir müssen da gemeinsam durch, das weißt du, oder?“ Ann nickte. Dann holte sie tief Luft und begann zu sprechen.
„Ich habe über die Sätze in dem Buch nachgedacht. Und darüber, was das Zeichen auf meinem Knöchel zu bedeuten hat. Ob es tatsächlich etwas zu bedeuten hat. Aber nach der Geschichte am Turm …“, sie brach ab und schüttelte sich. Er sah, wie ihre Arme von einer Gänsehaut überzogen wurden, unterdrückte aber den Wunsch, sie an sich zu ziehen. Stärker als das war der Drang endlich zu hören, was sie herausgefunden hatte. Also wartete er, bis sie weitersprach.
„Fakt ist, dass ich diese Male in Form eines Mondes habe. Fakt ist auch, dass ich – warum auch immer - eine Verbindung zu diesen Wassergeistern habe. Und Fakt ist, dass das alles nicht von ungefähr kommen kann und ich – wie du auch – eine Vergangenheit haben muss, die diese ganze Theorie belegen kann. Deswegen“, sie sah ihn an, „bin ich zum Haus meiner Eltern gefahren. Wie du weißt, sind sie in Europa. In Italien um genau zu sein. Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich meine, um das Warum und so. Bis jetzt.“
„Du meinst, es gibt einen anderen Grund warum deine Eltern dort sind, als sie dir gesagt haben?“ Er dachte an Larmant. Auch er war nach Italien gereist. Gab es da etwa einen Zusammenhang? Ann nickte und bestätigte seine Gedanken.
„Ja, das glaubte ich. Mir fiel ein, dass du sagtest, dein Onkel wäre nach Italien gereist. Nun, ich dachte, wenn wir beide schon eine dunkle Vergangenheit haben, dann gibt es da vielleicht einen Zusammenhang. Deshalb bin ich ins Haus meiner Eltern gefahren und habe nach etwas gesucht, was mir einen Hinweis auf meine Herkunft geben kann.“
„Und hast du was gefunden?“ Gespannt richtete er seine Augen auf ihre und ihr Blick sagte ihm, dass sie etwas gefunden hatte. Sie nickte und stand auf. Dann ging sie zum Stuhl, über dessen Lehne ihre Jacke und eine Tasche hing. In diese griff sie und holte einen alten, verblichenen und ziemlich staubigen Schuhkarton heraus. Mit ihm zusammen kam sie zurück aufs Sofa, setzte sich wieder und stellte den Karton auf ihre Knie.
„Das hier habe ich gefunden. Im Keller.“ Sie klappte andächtig den Deckel auf und zum Vorschein kam eine Sammlung von Papier, kleinen Schächtelchen und Zeichnungen.
„Wow. Das sieht aber sehr alt aus.“ Levian staunte, als Ann ein vergilbtes Blatt Papier aus dem Karton holte, was oben auf lag. Sie faltete es ganz vorsichtig auseinander. Er hörte, wie brüchig es klang, so, als wäre es kurz davor, auseinanderzufallen. Dann hielt sie es so, dass er einen Blick darauf werfen konnte. Und was er sah, ließ ihn ein ungläubiges „Das gibt´s ja nicht!“ ausrufen.
Das Blatt
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