Das Blut des Skorpions
pausieren und sich zusammenreißen, um weitermachen zu können. Ab und zu, wenn die Anstrengung zu viel wurde, fiel sie in einen leichten, unruhigen Halbschlaf, aus dem sie sich nur mit größter Willenskraft wach rütteln konnte.
So vergingen mehrere Stunden im Wechsel von fieberhafter Aktivität und längerer Bewusstlosigkeit, in denen ihr Geist zwischen Visionen von unsäglichen Qualen und wirren Erinnerungen aus ihrem Leben umherirrte.
Als sie endlich den primitiven Strick in den Händen hielt, stellte sich ein neues Problem.
Woran sollte sie die Schlinge befestigen?
Die Zelle war kahl und nackt, und sie erinnerte sich nicht, irgendwo einen Haken gefühlt zu haben, an dem sie das Stoffseil aufhängen konnte. Diese neue Schwierigkeit, die sie nicht bedacht hatte, versetzte ihrer wankenden Entschlossenheit einen schweren Schlag. Lange hockte sie in sich zusammengesunken da, während ihre müden Gedanken auf der Suche nach einer Lösung für das Problem ins Leere liefen. Alles schien vergeblich. Sie konnte nichts tun, um sich ihrem Schicksal zu entziehen. Doch dann schreckte sie aus ihrer Benommenheit auf, und das Wissen, dass ihre Kapitulation den Tod für ihre Freunde bedeuten würde, verlieh ihr neue Energie.
Auf einmal fiel ihr das Lüftungsloch wieder ein, und sie hievte sich mit schmerzenden Gliedern auf die Pritsche und tastete mit den Fingerspitzen die Öffnung in der Decke nach einem Haken oder sonstigen Aufhänger ab.
Das Loch wies keinen Vorsprung auf, aber es war schmal genug, dass man einen Gegenstand hineinklemmen konnte, um den Strick daran festzubinden.
Hektisch begann Beatrice, die Zelle nach irgendetwas abzusuchen, das dafür infrage kam. Die zweite Durchsuchung verlief jedoch nicht erfolgreicher als die erste. Die Pritsche war an der Wand und am Boden festgeschraubt, und es war nicht daran zu denken, mit bloßen Händen eines der dicken Bretter herauszureißen, die auf das Gestell genagelt waren. Die einzigen anderen Gerätschaften in diesem Gefängnis waren die beiden Terrakottagefäße. Der Wasserkrug war zu klein, kaum größer als eine Tasse, aber der für die Notdurft bestimmte hatte die richtige Größe und vor allem einen ausreichend langen Henkel.
Beatrice nahm den Krug und warf ihn mit ihrer verbleibenden Kraft gegen die Wand. Er prallte ab und kullerte über den Boden. Mit bebenden Händen suchte sie in der Finsternis, bis sie ihn wiederhatte. Tief enttäuscht stellte sie fest, dass er so gut wie heil geblieben war.
Ohne Zögern versuchte sie es erneut.
Ihre kaum noch vorhandenen Kräfte nahmen rasch ab. Trotzdem schleuderte sie den Krug zum dritten Mal gegen die Mauer, wohl wissend, dass sie keinen neuerlichen Versuch schaffen würde.
Diesmal zerbrach das Gefäß. Das Klirren der umherfliegenden Scherben hörte sich in ihren Ohren wie himmlische Harfen an. Der Henkel war glatt von dem Behältnis abgebrochen und landete wenige Zentimeter vor ihren Füßen.
Vollkommen erschöpft hob sie ihn auf und band das Stoffseil mit drei Knoten daran fest, damit es sich auf keinen Fall löste, wenn der Griff in dem kleinen Kamin steckte. Dann zwängte sie diesen, so gut es ging, in den Lüftungsschacht und prüfte mehrmals, ob das Seil auch festhing und ihr Gewicht aushalten würde.
Jetzt war sie für den großen Schritt bereit.
Sie legte sich die Schlinge um den Hals, schloss die Augen und schickte sich an, von der Pritsche zu springen, um ihrer schrecklichen Lage ein Ende zu bereiten.
Schon standen ihre Füße am rauen Rand des Lagers, fertig zum tödlichen Abstoß, als das jämmerliche Quietschen des Türriegels ertönte.
Zu spät, dachte die unglückliche Kartenlegerin. Zu spät.
Die Mönche waren gekommen, sie zu holen.
KAPITEL XL
Das Phönixspiel? Was zum Teufel soll das sein? Davon habe ich noch nie gehört«, rief Fulminacci und riss die Augen auf. »Dabei halte ich mich für einen Experten, was Glücksspiele angeht! Ist das eine ausgefeiltere Version von Zecchinetta?«
»Keineswegs, Maestro Sacchi«, antwortete Salinari. »Zecchinetta ist ein Spiel für Klosterschüler, verglichen mit Phönix. Wie kann es sein, dass Ihr noch nie davon gehört habt? Die gesamte römische Aristokratie ist buchstäblich verrückt nach diesem Zeitvertreib. Es gibt keinen Adeligen, hohen Prälaten oder reichen Kaufmann, der nicht ganz versessen darauf wäre, an einer Partie teilzunehmen. Der Zugang zu diesem Ort ist natürlich der Crème de la Crème vorbehalten. Alle wollen mitspielen,
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