Das Blut des Skorpions
die schon in voller Blüte standen. Darauf achtend, dass der Kies unter seinen Füßen möglichst wenig knirschte, überquerte der Skorpion den kleinen Platz und schlüpfte schnell in den Schatten, den die dicken Mauern des Hauses warfen.
Beim Näherkommen hatte er keine erleuchteten Fenster in diesem Flügel gesehen, was aber nicht bedeuten musste, dass drinnen niemand mehr wach war. Deshalb näherte er sich mit größter Umsicht den Terrassentüren, durch die man in die Eingangshalle gelangte.
Der Skorpion drückte die Klinke einer der Türen herunter und stellte fest, dass niemand sich die Mühe gemacht hatte, die Riegel vorzulegen. Geräuschlos durchquerte er die Halle, wobei er sich an die schlecht beleuchteten Ecken hielt, und erreichte die Prunktreppe. Von Fieschis Informanten wusste er, dass Pater Eckart zusammen mit den Dienstboten in der dritten Etage wohnte. Es gab also keinen Grund zu zögern. Wohl wissend, dass nun der gefährlichste Teil seines Plans kam, begann der Mörder die Treppe hinaufzuschleichen. Da Vorsicht ihn hier nicht weiterbrachte, galt es, schnell und entschlossen zu handeln.
Mit leichten Schritten lief er die Marmorstufen empor, nahm aber weder in der ersten noch in der zweiten Etage irgendein menschliches Geräusch wahr. Das große Haus wirkte so ausgestorben, dass man glauben konnte, seine Bewohner hätten es verlassen. Einen Augenblick lang fürchtete er, es könnte sich tatsächlich so verhalten, doch der Gedanke an die Wachen draußen beruhigte ihn. Niemand ließ ein leeres Haus bewachen.
Auf dem Treppenabsatz im dritten Stock hielt der Skorpion kurz inne, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Er wusste, dass Pater Eckarts Zimmer sich im linken Flügel befand. Er musste sich also links halten und nach etwa zehn Metern wieder links in den ersten Korridor abbiegen. Das Zimmer des Jesuiten war das vorletzte auf der rechten Seite.
In fast völliger Dunkelheit folgte der Skorpion der Beschreibung, die ihm sein Gedächtnis diktierte, und als er den richtigen Korridor gefunden hatte, sah er mit einiger Erleichterung, dass es am anderen Ende ein hohes Fenster gab, durch welches das schwache Licht des Nachtgestirns hereinfiel. Mit abgezirkelten Bewegungen zog er sein Schwert aus der Lederscheide und näherte sich der anvisierten Tür, an die er ein Ohr hielt, um zu hören, ob sich dahinter etwas regte. Er verharrte eine ganze Weile in dieser Stellung, vernahm aber nur ein leises Schnarchen.
Die Sache versprach glatter zu verlaufen, als er gedacht hatte.
Er legte die linke Hand auf den Türgriff und drückte ihn unendlich langsam herunter. Es wäre unverzeihlich, durch eine kleine Unvorsichtigkeit eine Unternehmung zu gefährden, die sich bis dahin als relativ einfach erwiesen hatte.
Schließlich war der Griff unten, und der Skorpion öffnete vorsichtig die Tür. Als sie weit genug offen war, schlüpfte er hinein und suchte sogleich mit den Augen nach dem Bett, in dem Pater Eckart liegen musste.
Das Zimmer ging nach Osten, weshalb das Mondlicht direkt durch die zwei großen Fenster hereinfiel, doch der Mörder hatte wenig Zeit, das zu bemerken. Denn kaum war er eingetreten, spürte er einen leichten Stich unterm Kinn.
Als er nach links blickte, sah er das Schimmern einer Degenklinge, die geradewegs auf seine Kehle gerichtet war.
»Endlich lernen wir uns einmal kennen, Skorpion«, sagte Capitaine de la Fleur, wobei sich ein Grinsen auf seinem gebräunten Gesicht ausbreitete.
KAPITEL XXXIX
Die schwere, eisenbeschlagene Tür schloss sich quietschend und mit hohlem Knall hinter Beatrice, während sie noch in die winzige Zelle taumelte. Ihre Beine trugen sie nicht mehr, und sie sank auf dem schmutzigen Lager zusammen.
Plötzlich, vor ein paar Stunden, waren sie gekommen.
Die Bluthunde des Herrn.
Ohne ein Wort hatten sie sie aus der Zelle geholt, ohne jede Gefühlsregung, die Gesichter starr wie Wachs, ausdruckslos, undurchdringlich. Sie hatten sie in einen kahlen, kalten Raum mit niedriger, gewölbter Decke geführt und sie dort eine Ewigkeit allein gelassen.
Wartend.
Dann war ein Mönch hereingekommen und hatte mit dem Verhör begonnen.
Mit leiser, monotoner Stimme hatte der Dominikaner ihr Fragen über Fragen gestellt, ohne auch nur einmal auf ihre Unschuldsbeteuerungen einzugehen.
Der Teufel, immer wieder.
»Wann bist du ihm begegnet? Was hat er dir versprochen? Wie hast du ihn beschworen?«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Pater«, hatte sie geantwortet und
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