Das Blut des Skorpions
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Die alte Geschichte also: In Rom wie in Mailand und vermutlich auch in Prag, Paris oder London durfte ein armer Christenmensch sich nie den Luxus erlauben, in seiner Wachsamkeit nachzulassen, wenn er nicht von irgendeinem Schlaumeier hereingelegt werden wollte.
Deshalb musste er sich nun gut überlegen, welcher Taktik er sich bedienen wollte.
Fulminacci hatte die kleine Piazza noch nicht überquert, als der Pfandleiher Piperno bereits zur Tat schritt. Seine Miene hatte den gewohnten gutmütigen Ausdruck verloren und war ernst vor Sorge, als er an der Treppe, die ins obere Stockwerk führte, nach seinem zwölfjährigen Sohn Aronne rief. In seiner Stimme, die sonst so melodiös war, dass sie fast schon einfältig klang, schwang ein schriller, krächzender Ton mit, der so gar nicht zu seinem Charakter passte.
Aronne kam mit dem Ungestüm der Jugend die enge, steile Treppe hinuntergerannt.
»Aronne, erinnerst du dich an den Mann von heute Vormittag?«, fragte Piperno.
»Ja, Vater, Ihr meint den, der zusammen mit diesen anderen gekommen ist, alle in dunklen Umhängen, nicht wahr?«
»Erinnerst du dich noch, wo er wohnt?«
»Ja, Vater, im Gasthaus zur Gans, dort hinten bei…«
»Ja, ja, genau«, unterbrach ihn sein Vater. »Du musst etwas für mich erledigen. Geh zu dieser Herberge und benachrichtige den Mann, dass jemand gekommen ist, um mir das Schmuckstück anzubieten, über das wir gesprochen haben. Kannst du dir das merken?«
»Ja, Vater, ich soll zur Gans gehen und dem großen alten Mann sagen, dass jemand gekommen ist und dir das Schmuckstück angeboten hat.«
»Sehr gut, und nun lauf. Trödel nicht auf der Straße herum wie sonst, und setz die Kappe mit dem gelben Flicken auf, denn wenn die Wachen einen Juden ohne Erkennungszeichen sehen, kriegen wir Ärger. Und komm gleich wieder zurück, verstanden?«
Der Junge setzte seine Kappe auf und sauste davon wie eine Musketenkugel.
Piperno wischte sich seufzend den Schweiß von der Stirn, obwohl die Temperatur in dem feuchten Laden alles andere als hoch war, und hoffte, dass Aronne seine Sache gut machte.
Die Drohungen, die er erst vor wenigen Stunden von diesem großen, hageren Mann mit einem Gesicht wie eine ausgegrabene Leiche erhalten hatte, jagten ihm immer noch einen Schauer über den Rücken. Sosehr es ihm missfiel, einem Kunden wie dem Maler einen derart bösen Streich zu spielen, wusste er doch nur zu gut, dass er keine andere Wahl hatte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass dieser Fremde mit seiner Eskorte von Galgenvögeln gewiss sämtliche Geschäfte des Ghettos abgeklappert und auch seine Kollegen auf diese unverhohlene Art bedroht hatte. Wenn nicht er, Piperno, ihm die Information gegeben hätte, nach der er so energisch verlangte, hätte es ein anderer getan.
Leben und Besitz eines Juden in Rom hingen von jeher an einem seidenen Faden, auch wenn die Situation sich im Vergleich zum vorigen Jahrhundert verbessert hatte. Kein Einwohner des Ghettos durfte sich erlauben, die Mächtigen gegen sich aufzubringen, denn jeder falsche Schritt konnte mit der Beschlagnahmung seines Eigentums oder gar mit dem Tod bestraft werden.
Auch die Ermordung dieses Geistlichen am Morgen verhieß nichts Gutes. Piperno hoffte, dass der oder die Täter schnell gefasst wurden, da die Schergen sonst einen anderen Sündenbock finden mussten, und die Erfahrung lehrte, dass sie den gern unter den Juden suchten.
Fulminacci hatte unterdessen das Ghetto hinter sich gelassen, die Ponte Fabricio, auch Judenbrücke genannt, überquert und das Gassenlabyrinth des volkstümlichen Viertels Trastevere betreten.
Rom war auch schon zu jener Zeit eine lebhafte und laute Stadt, in der jedes Viertel seine Traditionen und Eigenarten pflegte, aber Trastevere… Trastevere war etwas ganz Besonderes.
Jahr für Jahr fielen Horden von Pilgern aus allen Ecken der Christenheit in Rom ein, manche, um eine Gnade zu erbitten, manche, um ein Gelübde einzulösen, und andere einfach, um die Ewige Stadt zu besichtigen, die Herrscherin eines zweitausendjährigen Reiches.
Fast alle fanden sie in Trastevere eine Unterkunft, wo man zwischen einer schier unglaublichen Vielzahl von Gasthäusern, Tavernen und Osterien für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel wählen konnte. Es gab keine Sprache, die in den wimmelnden Gassen des Viertels nicht zu hören war, und kein Volk, keine Physiognomie und keine Kultur, die nicht angemessen vertreten gewesen wären. Das Gastgewerbe bildete einen
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