Das Blut des Skorpions
blühenden Wirtschaftszweig, und das schon seit vielen Jahrhunderten.
Die Bewohner von Trastevere reagierten auf diese Besucherinvasion mit dem für alle Römer typischen Unternehmungsgeist, weshalb in ihrem Stadtteil ein kosmopolitisches und zugleich volkstümliches Lüftchen wehte und er der lärmendste von allen war.
Das Gasthaus Zum Schwarzen Adler war eines der größten und ältesten am Ort. Stets laut und überfüllt, wurde es von morgens bis nachts von Pilgern, Kaufleuten und Abenteurern aus ganz Europa besucht, dazu natürlich von den Einheimischen, die am Ende ihres Arbeitstages gern dort einkehrten, um einen Krug Wein zu trinken.
Fulminacci nahm seine Mahlzeiten schon seit seiner Ankunft in Rom vor drei Jahren in diesem Lokal ein, weil er die Küche sehr zufriedenstellend fand. Weniger zufrieden dagegen zeigte sich Romoletto, der Wirt, mit dem der Maler in einem endlosen Streit über die Bezahlung seiner Rechnungen lag. Jedes Mal, wenn er in den großen Schankraum kam, wurde er von dem mürrischen Gastwirt mit lauten Beschimpfungen und Geldforderungen empfangen. Der Wortwechsel folgte einem bewährten Schema: Klagen und Vorwürfe auf der einen Seite, Entschuldigungen und Versprechungen auf der anderen.
Doch obgleich diese Querelen sich schon seit Anbeginn seines Aufenthalts in der Stadt abspielten, war ihm sein Kredit bei allem Keifen und Drohen nie endgültig gestrichen worden, wie es in Norditalien längst geschehen wäre. Dort hätte man ihn weniger lebhaft beschimpft und die Angelegenheit ruck, zuck vor dem Schuldgericht geklärt.
Zwar versuchte der Maler im Rahmen seiner Möglichkeiten, seine Schulden zu begleichen, aber das Geld reichte nie aus, und im Rechnungsbuch des Gastwirts war die Spalte der offenen Beträge unter dem Eintrag »Fulminacci« sehr viel länger als die der bezahlten.
Romoletto brüllte, drohte und verfluchte ihn, gab ihm aber weiter zu essen.
Eines der vielen Rätsel von Trastevere.
Auch an diesem Tag war er auf die gewohnte Tirade gefasst, als er die Locanda betrat. Diesmal hatte er jedoch ein Ass im Ärmel, mit dem er den Zorn seines Gläubigers zu besänftigen hoffte. Er würde Romoletto in einen ruhigen Winkel führen, ihm das Schmuckstück zeigen und versprechen, sämtliche offenen Posten zu begleichen, sobald es ihm gelungen war, es zu verkaufen.
Tatsächlich ging der Wirt, kaum hatte er einen Fuß in das Lokal gesetzt, mit der üblichen kämpferischen Haltung auf ihn los, doch die Heftigkeit seiner Wut machte den Maler sprachlos.
In all den Jahren ihrer Zwistigkeiten war der Wirt noch nie handgreiflich geworden. Diesmal jedoch stürmte der untersetzte Mann mit dem dicken Bauch auf ihn zu und wollte ihm mit der eindeutigen Absicht, ihn zu erwürgen, die Hände um den Hals legen.
Trotz seiner Verblüffung über diesen unerwarteten Angriff hatte Fulminacci keine Schwierigkeiten, den Wirt abzuwehren und seine Hände mit eisernem Griff festzuhalten.
Es vergingen einige Minuten, bis sich das Stimmengewirr ringsherum so weit gelegt hatte, dass er verstehen konnte, was Romoletto in seinem Zorn hervorstammelte.
»Du Schuft, du niederträchtiger Mistkerl«, brüllte er mit Schaum vor dem Mund und hervorquellenden Augen, »meine Tochter! Meine arme kleine Tochter!«
»Ganz ruhig, Romoletto, ganz ruhig«, redete der Maler auf ihn ein, »was ist mit deiner Tochter? Drück dich klar aus, mir reißt nämlich gleich der Geduldsfaden!«
»Mein Kind, meine kleine Tochter! Du hast sie zugrunde gerichtet! Sie war eine reine Blume, und du hast sie mir zerstört!«
Fulminacci hielt die Fäuste des Gastwirts weiter fest und sah sich in dem vollen Schankraum um, bis sein Blick auf die Gestalt von Rosetta fiel, Romolettos Tochter, die mit gesenkten Augen und beschämter Miene in einem Eckchen hockte. Eine deutliche Röte färbte ihre blühenden Wangen, sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und erinnerte an eine der vielen Figuren von reuigen Sünderinnen, welche die Fresken in den zahllosen Kirchen der Stadt zierten.
Ein Blitz der Erkenntnis erhellte das Dunkel im Kopf des Künstlers.
Das musste ja früher oder später passieren!
Eine Blume, von wegen! Rosetta war ein mannstolles Weib, wie es im Buche steht! Obwohl sie kaum achtzehn Jahre zählte, rannte sie jedem Paar Stiefel hinterher, das die Wirtschaft betrat. Egal, ob blond, dunkel, groß oder klein, alles kam infrage, solange es dem männlichen Geschlecht angehörte und noch nicht das Alter erreicht hatte, in dem die
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