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Das Blut des Skorpions

Das Blut des Skorpions

Titel: Das Blut des Skorpions Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Marcotullio
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zurück.
    Geschüttelt von Zittern und Frost versuchte er noch nicht einmal, seiner Verstörung mit Vernunft beizukommen oder als Wissenschaftler über den Gegenstand nachzudenken, der aus der fernen Vergangenheit wiederaufgetaucht war. Sein Geist verlor sich auf dunklen Pfaden, die mit düsteren Vorahnungen und Ankündigungen bevorstehenden Unheils gepflastert waren.
    Der Skorpion.
    Die Sterne hatten ihn nicht belogen.
    Das Zeitalter des Skorpions war wieder angebrochen.

KAPITEL VI
     
    Nachdem er das Collegium Romanum verlassen hatte, begab sich Fulminacci zum Stadtteil Trastevere, wo er wohnte, um dort sein Stammlokal aufzusuchen und zu Mittag zu essen.
    Pater Kirchers Reaktion auf den Bernstein hatte ihn verblüfft und nachdenklich gemacht. Ein solches Verhalten schien ihm nicht zu der rationalen Distanziertheit des Gelehrten zu passen, die er bisher kennengelernt hatte.
    Was ihn stets an Kircher fasziniert hatte, war gerade sein unerschütterlicher Gleichmut gewesen, den er nur aufgab – und auch dann nur zum Teil –, wenn es um wissenschaftliche Experimente, Vermessungen, kosmologische Theorien und anatomische Forschungen ging.
    Ihn so aufgewühlt, ja entsetzt zu sehen, enthüllte ihm eine Seite von Kirchers Wesen, die er nie vermutet hätte.
    Fulminacci griff auf eine der Binsenweisheiten zurück, die das geistige Erbe der schlichten Gemüter sind, und sagte sich, dass man seine Mitmenschen niemals richtig kannte, auch wenn man noch so lange Umgang mit ihnen hatte. Und sein Umgang mit dem gelehrten Jesuiten konnte weder beständig noch lang anhaltend genannt werden.
    In diese Gedanken versunken fand sich der Maler plötzlich vor dem Palazzo Mattei wieder, direkt am Eingang zum Viertel von Sant’Angelo, dem Ghetto von Rom.
    Der Anblick der abweisenden Fassade des Palazzos genügte, um ihn in schlechte Laune zu versetzen.
    Die Mattei waren seit Jahrhunderten die Wächter des Ghettos; sie hatten die Schlüssel inne, und ihnen oblag die Aufgabe, jeden Abend beim Ave-Maria die Tore des Viertels zu schließen.
    Im vergangenen Jahr hatte das Oberhaupt der mächtigen Familie ihn beauftragt, eines dieser Tore mit Fresken zu schmücken, da die ursprüngliche Bemalung schon zweihundert Jahre alt und irreparabel beschädigt war.
    Fulminacci hatte sich mit Eifer an die Arbeit gemacht. Seine auf Pappe ausgeführten Entwürfe waren vom Auftraggeber gebilligt worden, und im Laufe weniger Wochen hatte er das Fresko vollendet gehabt.
    Als er jedoch den Lohn für seine Arbeit erhalten sollte, war es plötzlich zu Schwierigkeiten gekommen. Nach Meinung des Familienoberhaupts waren die Farben zu leuchtend, die Perspektive fand er verzerrt und die menschlichen Figuren unnatürlich in die Länge gezogen. Kurzum, das alte Problem. Es hatte endlose Debatten gegeben, aber wie immer in solchen Fällen hatten die Adeligen den Sieg davongetragen und ihm am Ende nur die Hälfte der vereinbarten Summe bezahlt.
    Wieder einmal hatte die Moral der Epoche triumphiert: Die großen Fische fressen die kleinen.
    Es heißt auch, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Neben der finanziellen Einbuße musste der Maler auch noch diesen Lump von Anwalt bezahlen, der seine Sache mit so empörend schlechtem Ausgang vertreten hatte.
    Fulminacci unterdrückte mit Mühe die Wut, die jedes Mal in ihm hochkochte, wenn er an diesem Haus vorbeikam, setzte seinen Weg durch die Ottavia–Arkaden fort, wo mit großer Lebhaftigkeit der Fischmarkt abgehalten wurde, und betrat die gewundenen und übel riechenden Gassen des Ghettos.
    Die Giudecca, wie die Römer den Stadtteil Sant’Angelo nannten, war das armseligste Viertel der Stadt. Da sie keine unbeweglichen Güter besitzen durften, mussten die Juden in baufälligen Hütten hausen, obwohl die Gemeinde keineswegs Not leidend war. Eine Generation nach der anderen wurden die Familien der Kinder Israels in dicht an dicht stehenden Bruchbuden zusammengepfercht, wofür sie obendrein alles andere als bescheidene Mieten berappen mussten, auch wenn die Stadtoberen in regelmäßigen Abständen versuchten, einen Höchstbetrag festzusetzen.
    Diese Zustände wurden noch dadurch verschlimmert, dass das Viertel im niedrigst gelegenen Teil der Stadt lag und die Hütten des jüdischen Ghettos jedes Mal, wenn der Tiber aufgrund starker Regenfälle über die Ufer trat, in den Fluten standen.
    Keine angenehme Situation also. Dennoch blühte die Gemeinde, soweit man das trotz der wiederkehrenden Wellen von

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