Das Blut des Skorpions
Flügeltür zu der Vorhalle mit der großen Prunktreppe wurde geöffnet, und zwei Reihen von Wachen in der blau-goldenen Gardeuniform der Familie Vasa stellten sich zu beiden Seiten auf und präsentierten die glänzenden Hellebarden. Wieder ertönte Trompetengeschmetter, und im Saal wurde es still.
Einige Augenblicke lang schien gar nichts zu passieren, doch dann wurden die Trompeten leiser und stimmten einen feierlichen Marsch an, worauf die Monarchin in all ihrer königlichen Pracht erschien.
Im Laufe der vergangenen beiden Tage hatte Fulminacci öfters Gesprächsfetzen der Palastdienerschaft über die Festrobe der Königin aufgeschnappt. Die Gerüchte hatten sich überschlagen und häufig auch widersprochen, aber in einem waren sich alle einig: Mit dem Geld, das diese Robe gekostet hatte, hätte man eine kleine Armee mit allem Drum und Dran ausrüsten können.
Als er nun die Königin zwischen den beiden Gardereihen einherschreiten sah, vermutete der Maler, dass diese Schätzung noch zu niedrig angesetzt war.
Das Kleid bestand aus kostbarsten Seiden- und Brokatstoffen in zarten Nuancen von Hellblau und Gold, den Farben des königlichen Geschlechts, und war buchstäblich mit Perlen überhäuft, Hunderten, vielleicht Tausenden von Perlen unterschiedlicher Größe und Qualität. Die vielen Kerzenleuchter im Saal entlockten ihnen einen opalisierenden Schimmer, der die Königin in ein geradezu übernatürliches Licht tauchte.
Fulminacci betrachtete aufmerksam das stolze, unbewegte Gesicht der Monarchin und stellte fest, dass es nicht wirklich schön genannt werden konnte. Die Nase war etwas zu groß und deutlich gekrümmt, und darüber saßen zwei tief liegende Augen, deren schwere Lider ihnen einen melancholisch-gelangweilten Ausdruck verliehen. Auch die kleinen, aber fleischigen Lippen ihres Schmollmunds trugen nicht zu einem anziehenden Äußeren bei.
Dennoch zog sie, als sie langsam und majestätisch einherschritt, die Blicke aller Anwesenden auf sich. Sie schien nicht wie normale Sterbliche zu gehen, sondern wie ein Boot auf dem stillen Wasser eines Sees dahinzugleiten. Kein Schulterzucken, nicht die kleinste unruhige Bewegung störte dieses feierliche Schreiten, das Schreiten einer Frau, die königliche Erhabenheit aus jeder Pore atmete.
Sie ging durch diesen menschlichen Korridor, bestehend aus den Männern ihrer Ehrengarde, bis zur Mitte des Saals. Dort blieb sie stehen, und die große Schar der Gäste, die sich bei ihrer Ankunft verneigt hatte, richtete sich auf ein kaum merkliches Nicken von ihr wieder auf.
Wie aus dem Nichts tauchte die untersetzte Gestalt Kardinal Azzolinis an der Seite der Königin auf, während an die andere Donna Ottavia Giustiniani trat, ebenfalls strahlend in ihrem Kleid aus dunklem Brokat, die ihrer Beschützerin und Wohltäterin eine winzige Maske aus Seide in den allgegenwärtigen Farben Blau und Gold reichte. Christine setzte sie auf, wobei sie es geschickt vermied, ihre hoch aufgetürmte Frisur zu zerstören, an der vermutlich ein kleines Heer von Frisören mehrere Stunden lang gearbeitet hatte.
Nun, da die Königin zumindest symbolisch ebenfalls Anonymität erlangt hatte und alle Formalitäten erfüllt waren, konnte das Fest beginnen.
KAPITEL LVIII
Das Erscheinen der Königin setzte die angestauten Energien frei. Die großen Terrassentüren, die bis dahin verschlossen geblieben waren, wodurch sich der Saal nach und nach in ein tropisches Gewächshaus verwandelt hatte, wurden nun weit geöffnet, sodass die Gäste hinaus auf die weiten Grünflächen schwärmen konnten. Dort standen die Zeltpavillons, die weitere Erfrischungen und Annehmlichkeiten zur Verschönerung des Abends boten.
Der Auftritt der Königin war exakt so inszeniert worden, dass er die eindrucksvollste Wirkung erzielte. Denn kaum hatten die Eingeladenen den Park betreten, begann die Sonne in einer triumphalen Farbexplosion aus Rot und Violett am Horizont unterzugehen. Aufgrund der Lage des Palasts sah es zu dieser Jahreszeit so aus, als hätte das Himmelsgestirn sich den Tiber als Kulisse für seinen dramatischen Abgang gewählt. Sobald der untere Teil der Scheibe auf die Wasseroberfläche traf, wurden die nur leicht von der Strömung gekräuselten Fluten in ein tiefes, leuchtendes Rot getaucht.
Obwohl der Anblick dieses Naturereignisses den Bewohnern Roms durchaus vertraut war, löste er bei den meisten Anwesenden ein beeindrucktes Murmeln aus. Da der Einzug der Königin so berechnet worden war,
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