Das Blut des Skorpions
unsere gute Monarchin so ihre eigenen, ungenierten Vorlieben. Aber jetzt sollten wir mal zusehen, dass wir etwas in den Bauch bekommen, bevor diese adeligen Geier alles kahl fressen.«
Christine hatte wie immer keine Kosten und Mühen gescheut. Je mehr ihre Schulden wuchsen, desto mehr gab sie das Geld mit vollen Händen aus. Spanischer Schinken, andalusische Feigen, Fleisch- und Leberpasteten aus dem Périgord, französische, italienische, spanische und ungarische Weine – jede Region Europas war durch ihre vorzüglichsten und berühmtesten Spezialitäten vertreten.
Die beiden gingen auf einen der voll beladenen Tische zu, um den noch kein allzu großes Gedränge herrschte.
Fulminacci streckte die Hand nach einem Rebhuhnschenkel in Aspik aus. Als seine Finger sich um das begehrte Geflügel legten, fiel sein Blick auf das andere Ende des Tisches.
Was er dort sah, ließ ihn zusammenfahren.
»Ard… äh, Baldassarre… Oh Gott«, flüsterte er schwach. »Sieh nur… Guck doch… Oh nein…« Weil ihm die Stimme versagte, stieß er den Freund mit dem Ellbogen an.
Ohne mit dem Kauen aufzuhören, hob der Großmeister den Kopf. »Ganz ruhig, Giovanni. Sieh woanders hin. Tu so, als wäre nichts. Benimm dich ganz unbefangen.«
»Unbefangen, du spinnst wohl. Wir sind geliefert!«
»Jetzt nicht die Nerven verlieren. Wir gehen schön langsam von hier weg, als würden wir einfach weiterschlendern. Ganz langsam, so ist’s gut. Mischen wir uns unter die Gäste.«
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass er auch hier sein wird?«, zischte Fulminacci.
»Ich wusste es selbst nicht. Normalerweise verschmäht er solche Einladungen.«
»Er ist unseretwegen hier, Gott steh uns bei, er ist unseretwegen hier«, murmelte der Maler. Sein entsetzter Blick schnellte zwischen den prächtigen Kostümen der vielen Gäste hin und her und suchte zwanghaft nach einer weißen Kutte. Er hatte den Inquisitor auf den ersten Blick erkannt, obwohl dessen Gesicht wie bei allen Gästen hinter einer Maske verborgen war. Die stechenden Augen jedoch bohrten sich durch die Sehschlitze der Maske hindurch; seine bleichen, klauenartigen Hände bewegten sich ruhelos.
»Bernardo Muti, die schwarze Seele des Heiligen Offiziums. Er ist hier, um uns zu verhaften, verstehst du das nicht? Was sollen wir jetzt tun, Baldassarre? Beatrice hatte recht, wir hätten fliehen sollen, solange noch Zeit war. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät. Neapel ist schließlich nicht weit weg…«
»Red keinen Unsinn«, unterbrach ihn Melchiorri. »Ich habe dir doch erklärt, dass es auf der Welt keinen Ort gibt, an dem man vor der Inquisition sicher wäre, abgesehen vielleicht von Japan, wo Europäer jedoch nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden, soweit mir bekannt ist. Nein, Giovanni, die Sache wird hier und heute Abend geklärt.«
»Aber wie denn, Herrgott, wie nur? Du weißt, dass ich kein Hasenfuß bin, aber als ich diese Kutte gesehen habe, ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Wie sollen wir diesen schrecklichen Mönchen entgehen? Ich will nicht den Schwarzseher spielen, aber ich glaube wirklich, diesmal ist es aus mit uns. Ich rieche schon den Gestank von verbranntem Fleisch.« »Bloß nicht verzagen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es einen Ausweg gibt. Wir müssen uns nur die nötige Zeit zum Nachdenken nehmen.«
»Nehmen wir uns die nötige Zeit«, sagte der Maler, während er unruhig den Saal musterte, »aber beeilen wir uns, um Gottes willen.«
»Rekapitulieren wir die Situation. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Gerlando die Flucht des Inquisitors aus dem Keller ermöglicht, verflucht sei der Tag, an dem ich den Burschen in meinem Haus aufgenommen habe. Selbst wenn er noch einmal einen Funken von Loyalität für mich empfunden haben sollte, werden die Verhörmethoden der Inquisitoren ihm alsbald die Zunge gelöst haben, sodass Muti jetzt genau weiß, wer ihn entführt hat. Aber er weiß auch, dass wir unantastbar sind, solange wir uns im Palast aufhalten. Er könnte natürlich die Königin bitten, uns auszuliefern, aber das ist ziemlich unwahrscheinlich. Die Königin ist den Jesuiten treu ergeben, und wie jeder weiß, sind sich Jesuiten und Dominikaner spinnefeind. Außerdem hat Muti schon mehrfach von der Kanzel aus über Christines schändliches Lotterleben gewettert, wie er es nennt. In dieser Hinsicht brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen. Seine einzige Chance, uns in seine Klauen zu bekommen, wäre, uns irgendwie dazu zu
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