Das Blut des Skorpions
bringen, das Gelände des Palazzo Riario zu verlassen. Aber mit welcher List könnte er uns zu einer derartigen Dummheit verleiten? Mir fällt keine ein, sosehr ich auch überlege.«
Als er das hörte, überlief den Maler ein eisiger Schauder.
»Hast du Beatrice in der letzten halben Stunde gesehen?«, fragte er den Freund mit Grabesstimme.
Melchiorri schien nicht sofort zu verstehen.
»Wieso, was willst du denn von…?« Wie vom Blitz getroffen unterbrach er sich. »Heilige Muttergottes, du meinst doch nicht…?«
»Da hast du deine List!«, rief Fulminacci und setzte sich in Bewegung. »Dieser Scheißkerl will Beatrice entführen, um uns von hier wegzulocken. Sind wir erst mal außerhalb des Palasts, sitzen wir in der Falle. Schnell, suchen wir sie. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«
KAPITEL LVII
Vielleicht sollten wir uns aufteilen«, schlug Fulminacci vor, der sich hektisch im Saal umblickte. »Nein, lieber nicht«, sagte Melchiorri. »Am Ende verlieren wir uns in dem Gedränge. Wenn wir Beatrice finden, muss einer von uns immer an ihrer Seite bleiben, wir dürfen sie keinen Moment aus den Augen lassen.«
Mühsam bahnten sie sich einen Weg zwischen den Grüppchen von feinen Damen und edlen Herren hindurch und suchten den riesigen Salon ab. Der Maler hielt in dem Meer aus bunten Kostümen fieberhaft nach einem blitzenden Streifen Türkis Ausschau und fürchtete dabei gleichzeitig, auf das düstere Schwarz des Dominikanerumhangs zu stoßen.
Die Gäste umkreisten unablässig die gedeckten Tische, was es den beiden Freunden erschwerte, einen festen Orientierungspunkt zu finden. Überdies mussten sie den Eindruck vermitteln, zwanglos durch den Saal zu promenieren, einzig um das Fest zu genießen. Jedes eilige oder gar verstohlene Verhalten würde Verdacht erwecken, und sie zweifelten nicht daran, dass sich unter den verkleideten Aristokraten auch einige Häscher der Inquisition befanden, die Mutis gemeinen Plan ausführen sollten.
Endlich entdeckte der Maler hinter einer Lücke in der Mauer aus Menschenleibern das zarte Wassergrün des Kleides der Freundin, worauf er dem Gefährten ein Zeichen machte und sich unauffällig auf die Stelle zubewegte. Melchiorri folgte ihm auf den Fersen und gab vor, sich angeregt mit ihm über einen wenig bekannten Aspekt der Bewässerungsmethoden lombardischer Bauern für ihre Reisfelder zu unterhalten.
Sie kamen nur langsam und alles andere als auf geradem Weg voran, denn sie mussten immer wieder große Halbkreise um Gruppen von Kostümierten beschreiben, die sich zusammenfanden und wieder auflösten, und durften dabei keine Unvorsichtigkeit begehen, aber auch nicht zu weit von der ursprünglichen Richtung abweichen. Ohne die zügelnde Gegenwart des Großmeisters hätte Fulminacci sich rücksichtslos zu Beatrice durchgekämpft, hätte auf zartgliedrige Zehen getreten und mehr als einen vornehmen Namen zur Seite gestoßen. Melchiorri aber hatte sich bei ihm untergehakt und erlaubte ihm nicht, seinem hitzköpfigen Drang nachzugeben, sondern lenkte seine Schritte mit der Gewandtheit eines Höflings, der es gewohnt war, sich mit zierlichen Schritten in einer solchen Umgebung zu bewegen.
Nach vielen Umwegen, schwer zu ertragenden Pantomimen, lächelnden Verbeugungen und anderem Getue erreichten sie schließlich ihr Ziel.
Beatrice unterhielt sich gerade mit Pater Kircher und Michelangelo Ricci in der Nähe einer großen Gruppe von Edelleuten, die sich vor dem Kamin versammelt hatte. Dieser war zur Feier des Tages mit Bergen von Blumen bestückt worden, die ihren intensiven Duft in der Luft verströmten.
Fulminacci und der Großmeister gesellten sich zu den dreien und nahmen Beatrice in die Mitte, die den Maler demonstrativ ignorierte, Melchiorri dagegen ein herzliches Lächeln schenkte.
»… dennoch glaube ich, eine inhärente Schwachstelle in Keplers Theorie von den Planetenumlaufbahnen gefunden zu haben«, erörterte Michelangelo Ricci die Lehre, die ihn in ganz Europa berühmt gemacht hatte, während Kircher schweigend zustimmte, »insbesondere, was die Neigung der Ekliptik angeht. Meine jüngsten Beobachtungen weichen von dem ab, was der große Deutsche in seiner Abhandlung De Motibus Stellae Martis schreibt, vor allem hinsichtlich seiner Behauptung…«
Fulminacci hatte nicht die geringste Ahnung von Astronomie und im Moment auch ganz andere Sorgen. Möglichst unauffällig versuchte er, Beatrices Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die jedoch völlig gebannt
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