Das Blut des Skorpions
zumindest etwas mehr Zeit verschaffen…«
»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, rief der Bischof. »Denkt nicht einmal daran. Ihr kennt diese Frau nicht. Sollte sie auch nur ahnen, was da im Busch ist, wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das ganze Unternehmen scheitern zu lassen. Christine weiß nichts und darf nichts wissen!«
»Aber sie hat schließlich auf den Thron verzichtet. Ich verstehe nicht, wieso…«
»Insistiert nicht weiter, ich bitte Euch. Kümmert Euch um Eure Aufgaben und überlasst mir die politischen Überlegungen. Christine hat zwar abgedankt, das stimmt, aber nie wirklich die Hoffnung aufgegeben, das Szepter Schwedens wieder in die Hand zu bekommen. Sie schmiedet nach wie vor Ränke mithilfe eines Teils der schwedischen Aristokratie, der sie vielleicht nicht offen unterstützt, ihr aber immer noch treu ergeben ist.«
De la Fleur schüttelte frustriert den Kopf über die Vergeblichkeit aller bisherigen Anstrengungen und auch über die Argumente seines Befehlshabers, die ihn wenig überzeugten.
Der Bischof ging auf ihn zu, und obwohl ein solches Verhalten in seiner Stellung nicht angebracht war, legte er ihm mit fast kameradschaftlicher Gebärde die Hand auf die Schulter.
»Vertraut mir, de la Fleur, und greift entschlossen ein, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.«
Ermuntert von dieser unerwarteten Geste nickte der Capitaine.
»Geht jetzt«, sagte der Geistliche darauf, »und erwartet meine Befehle.«
De la Fleur nickte erneut, nahm seinen großen Hut und verließ das Zimmer mit einer nur leicht angedeuteten Verbeugung.
Der Bischof sah ihm nach und dachte, dass der Offizier sich nicht eben ehrerbietig verhielt, wenn man den Rangunterschied zwischen ihnen beiden bedachte. Andererseits war es charakteristisch für die Musketiere des Königs, so freimütig und direkt aufzutreten, dass es manchmal wie Gehorsamsverweigerung wirkte. Und letzten Endes verzieh er ihnen sowieso immer alles. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er selbst… Aber das war jetzt nicht der Moment, um sich sentimentalen Erinnerungen hinzugeben. Die Situation wurde mit jeder Stunde bedenklicher und erforderte seine ganze Geistesgegenwart. Der große Plan, den er mit viel Geduld und Sorgfalt ausgearbeitet hatte, stand so kurz vorm Scheitern wie noch nie.
Der Bischof trat wieder ans Fenster, um das nächtliche Panorama zu betrachten. Wer wird der Nächste sein?, fragte er sich, während er den Blick über die von einer bleichen Mondsichel schwach beleuchteten Dächer der Stadt schweifen ließ. Wer wird der Nächste sein?
KAPITEL XIII
Hintereinander und mit gesenktem Kopf betraten die Männer den Raum, obgleich diese Befangenheit in offensichtlichem Widerspruch zu ihrem Charakter stand.
Das Zimmer war groß, leer und kalt und wurde nur von zwei Kerzenleuchtern an den Schmalseiten eines langen Eichentisches erhellt, der die einzige Einrichtung darstellte. Aber es waren weder das Schummerlicht noch die Trostlosigkeit der kahlen Wände noch die durchdringende Kälte, was sie vor Furcht verstummen ließ, sondern diese bohrenden Augen, die sie musterten, während sie im Gänsemarsch in eine der geheimsten Kammern im Palast des Heiligen Offiziums Einzug hielten.
Die kalten Augen schienen den trüben Grund ihrer Seelen zu erforschen und im Unrat ihres frevelhaften Lebens zu stöbern.
Bei genauer Betrachtung waren die Augen das einzig Auffällige an diesem kleinen, knochigen, nervösen Mann, den ein inneres Leiden oder vielleicht auch eine Obsession aufzuzehren schien und der jetzt wortlos zusah, wie sie sich setzten. Ein Mann in einer einfachen weißen Kutte, über der er einen schwarzen Umhang mit Kapuze trug. Ein schlichtes Holzkreuz lag auf seiner eingefallenen Brust.
Sein Gesicht war ausgemergelt, ein Totenschädel, der von einer dünnen, pergamentartigen Hautschicht überzogen war. Die lange, gekrümmte Nase dagegen verlieh ihm Ähnlichkeit mit einem Raubvogel.
Es waren jedoch nicht diese Äußerlichkeiten, die in den Männern ein Gefühl der Befangenheit, der Beklemmung, ja beinahe kopfloser Angst auslösten.
Keiner von ihnen hätte den Mönch eines zweiten Blickes gewürdigt, wenn diese magnetisierenden, fiebrigen, pechschwarzen Augen nicht gewesen wären.
Die Augen Bernardo Mutis.
Die Augen der heiligen Inquisition.
Allein beim Klang seines Namens wurden sämtliche Römer, Männer und Frauen, Junge und Alte, Juden und Getaufte von einer unüberwindlichen Furcht erfasst.
Der Mönch nahm
Weitere Kostenlose Bücher