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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Sie sah deutlich vor sich, daß Kasias leichtfertiger Rat ein Gemetzel in ihrer Brust angerichtet hatte, einen Schrekken ohne absehbares Ende. Den kleinen Tommy aufgeben – unvorstellbar; Wereschnikow verlieren – eine Lebenskatastrophe.
    Am Ende gar ganz allein dastehen? Auch das war inzwischen nicht unausdenkbar. Breegen, dessen Besuch während der falschen Live-Ausstrahlung der Auslöser der Fatalitäten gewesen war, hatte sich seitdem nicht blicken lassen. Er schien vor allem den längeren Aufenthalt im Schrank, diesen Anschlag auf seine Würde als Immobilien-Nabob und souveräner Liebhaber, sehr übelzunehmen, und nachtragend war er, das wußte Maruscha aus den Gesprächen über seine Zeit als geächteter Bankrotteur. Während er an seiner Wiederauferstehung gearbeitet hatte, als nehme er seinen Paria-Zustand gar nicht wahr, legte er zugleich eine schwarze Liste an, auf der nicht nur stand, wer in sein Desaster hineinverflochten war, sondern auch, wer ihn damals schief angesehen hatte. Sie traute sich zu, ihn beruhigen und friedlich stimmen zu können, aber dafür mußte er neben ihr sitzen. Es bedurfte der sanften Rede mit schöner, in den Ohren kitzelnder Stimme, aber eben auch der physischen Nähe, der Spannung zwischen den Körpern, der zufälligen, aber von inniger Vertrautheit zeugenden Berührungen. Die Gelegenheit zu all dem mußte er ihr schon gewähren, dann wäre die Verstimmung bald mit seinen Zigaretten in Rauch zergangen.
    Breegen stand in ihren gegenwärtigen Sorgen nur an dritter Stelle, aber es war ein ernstzunehmender dritter Platz. Auf diesem untersten Platz bauten die beiden oberen sich auf. Er war das Fundament, denn ohne Breegens kommentarlos geleistetes Unterstützungswerk hingen die oberen Etagen in der Luft, und dort bleibt auf Erden nichts lange hängen.
    Ein neuartiger, gänzlich ungewohnter Gedanke formte sich in ihr: Wie beglückend wäre es, mit einem einfachen, ergebenen, treuen Mann zu leben, einem Mann, der ihr dankbar wäre für ihre Zuwendung und dem sie dankbar sein könnte, ohne dankend an Einfluß bei ihm zu verlieren. Ein Mann, mit dem sie zufrieden alt werden könnte, der ihr Sicherheit und Ruhe gab, wie ihr jetzt vorkommen wollte, unendlich kostbare, schier unbezahlbare Güter. Maruscha blickte, während sie Kasia lauschte, aus dem Fenster. Es war die Stunde des Sonnenuntergangs, die Häuser und Dächer und die Tiefen der Straße lagen schon in bläulichem Schatten, aber über allem erhob sich ein einzelner Schornstein, der noch in goldenes Licht getaucht war und leuchtete, als gehe das Licht recht eigentlich von ihm aus. Das war wie in den Alpen, wenn es in den Tälern schon dunkel wird, aber oben die weißen Bergspitzen noch einmal rotgolden glänzen. Nicht überall war Nacht. Man mußte sich oder zumindest das Herz erheben und es in die Sphäre der Sonne halten.
    Was sie jetzt aussprach, entglitt ihrer Kontrolle. Das war etwas, das mußte heraus, auch wenn Kasia dafür nicht das richtige Publikum war. Neulich sei sie mit Wereschnikow essen gewesen, schon nach dem peniblen Geständnis, gerade seitdem helfe sie ihm um so lieber. Er brauche diese Hilfe auch. Beim Geldsuchen für sein großes Projekt sei es oft nützlich, wenn eine Frau dabeisei, das nehme dem Anliegen die Aufdringlichkeit. Die Dinge würden mehr nebenbei besprochen. Sie sei gut darin, Leuten die Angst zu nehmen, die meisten Männer blühten auf, wenn sie richtig angesprochen wurden, was ein Mann wie Wereschnikow nicht hinbekäme. Er sei oft gereizt, dann wieder schüchtern, ohnehin defätistisch, wenn noch gar nichts verloren war …
    Sie sprach lebhaft, das Klagen hatte sie verlassen, es lag geradezu eine kleine Hemmungslosigkeit in ihren Worten, was brachte sie dazu, ihre Vorzüge so herauszustellen? Das war sonst gar nicht ihre Art. Mit einem ganz wichtigen Mann hätten sie gegessen, der unvorstellbar viel Geld verwalte, selbst davon auch seinen Teil verdiene – Wereschnikow hatte sie bis ins Detail vorbereitet, und der Abend war gegen jede Erwartung gelungen. Nein, kein schöner Mann, aber sehr lieb, arglos, harmlos, freundlich, geradezu demütig. Ein unerwartbares Wort in solchem Zusammenhang. Was aus Wereschnikows Anliegen werde, das wisse sie nicht. Er sei jetzt wortkarg und weihe sie nicht mehr ein, sondern sehe sie, sowie sie mit ihm allein sei, nur noch schweigend und vorwurfsvoll an, aber dieser Mann – zurückhaltend, äußerst höflich, ein Gentleman – »Ich wünschte, du würdest

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