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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Steine werden. Erst war der Lehm mit Wasserfluten geformt worden, jetzt kam das Feuer. Die Lehmziegel dienten nun zum ersten Mal ihrem neuen Zweck, dem Bauen. Es wurde ein Gebäude mit ihnen aufgeführt, mit Bögen und Gewölben. Ivana zeichnete mir das auf, in ungewöhnlich unbegabten Zeichnungen, auch sie besaß kein Verhältnis zum Papier und zum Bleistift, aber die Skizzen erfüllten ihren Zweck, ich konnte mir das Gebäude vorstellen. Die Lehmziegel selbst formten den Ofen, in dem sie gebrannt werden sollten, und sie taten es in einer Weise, die bereits vollendete, unübertreffliche Architektur war. Es wurde mir klar, daß die gesamte Backsteinbaukunst aus der Architektur der Brennöfen hervorgegangen war. Hier mußte zum ersten Mal jene Art von Raum geschaffen werden, die das Bauen mit Backsteinen möglich macht. Ein solcher Brennofen muß ein bei weitem kühnerer und geradezu vorbildlicher Bau gewesen sein, als es die Häuser waren, die dann in seiner Nähe errichtet wurden. Diese Brennöfen waren wirklich überzeitlich. Ein kubischer Tempel der Sumerer oder ein Pumpenhaus von Schinkel hätten sich gleichermaßen darauf beziehen können.
    Auf den Bergabhängen wuchs ein dichter krüppelhafter Wald. Tagelang wurde Holz geschlagen; das große Feuer im Ofen mußte drei Tage bei schönem, acht Tage bei Regenwetter unterhalten werden, auch in der Nacht. Bei diesem Einheizen war wieder die ganze Familie gefordert, jetzt nicht mehr als Lehmgötzen, sondern als rußschwarze Köhler. Schließlich wurde der erkaltete Ofen behutsam abgebaut. Jedes Kind trug jeweils zwei Steine hundertfünfzig Meter weit bis zum Leiterwagen, aber vorsichtig, denn kein Stein durfte fallen und zerbrechen. Ivana hatte die Augen ihres Vaters auf sich gespürt und seine Zufriedenheit erkannt. Jetzt durfte sie bei der Erzählung lachen, daß er bei ihrer Geburt aus dem Haus gelaufen sei; der Großvater habe ihn angehalten, er solle nicht weglaufen während der Geburt, es könne ja etwas Schlimmes passieren – »Es ist schon was Schlimmes passiert: ein Mädchen!«
    Die Backsteinbrennerei wäre nicht vollständig gewesen, wenn nicht zugleich auch eine Kalkbrennerei daneben betrieben worden wäre. Auch hier entstand Architektur. Aus den von allen Kindern gemeinsam auf dem Berg gesammelten Marmorbrocken wurde wiederum ein Kuppelbau aufgeschichtet, der aber von einem hohen Turm umgeben wurde, mit immerhin vier Metern Durchmesser, kreisrund. Holzstämme bildeten sein Gerüst, sechs Meter hoch ragte er in die Luft, in der Umgebung der ins Grüne gedrückten Bauernhäuser ein geradezu unheimliches Monument. Reste davon waren noch zu sehen. Sie wirkten wie Ausgrabungen von Ruinen aus archaischer Zeit. Die Holzstämme wurden mit Geflecht verbunden, zwischen Geflecht und die Marmorbrockenkuppel wurde Erde aufgefüllt; Ivana und Anna flochten aus den Weiden hohe Matten, die Männer schippten. Mit Flaschenzügen wurde die Erde in die Höhe gezogen. Es war wirklich ein Gebäude, das entstand, ein bulliger Festungsturm. Das Feuer in der Marmorbrockenkuppel, Tag und Nacht unterhalten, besaß nach zwei Tagen die Kraft, oben aus dem Turm hinauszuschießen. Dann stand der brennende Turm im einsamen Waldtal als riesige Fackel, bis der Marmor zu Kalk verbrannt war und sich im Wasser zu einer dicken Milch verrühren ließ.
    Die Mestrovics hatten aus ihrem bäuerlichen Weiler eine steinzeitliche Industrieanlage mit Hochöfen und funkensprühenden und rauchenden Schloten geschaffen. War Kain, nachdem er den Bruder Abel erschlagen hatte, nicht Städtegründer geworden? Dann muß die Kainssippe ähnlich gehaust haben. Industrie war vielleicht weniger Abzeichen einer bestimmten ökonomischen Entwicklung, sondern eine vom Anfang der Geschichte an vorhandene Seinsart.
    Um neunzehnhundertsiebzig herum kamen die ersten Industriebacksteine nach Bosnien, und sofort hatte der Vater seine Familienfabrikation eingestellt. Sentimental war er nicht. Wenn man die Backsteine billiger machen konnte und wenn die Leute mit der schlechteren Qualität zufrieden waren, gab es für ihn keine Veranlassung, gegen die neue Zeit anzukämpfen. Dies war nebenbei das Ereignis, mit dem das Jahr neunzehnhundertachtundsechzig sich in Mestrovics Waldtal unvergeßlich machte.
    Ivanas Schwester Anna, die große Arbeiterin, hatte der Erzählung Ivanas viel Farbe gegeben. Wenn Ivana etwas vergaß, und sie hatte manches vergessen in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland, sprang Anna mit

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