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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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nicht jeden, der mit Messer und Gabel essen kann, Gentleman nennen« –, nein, es bezog sich nicht auf die Manieren im engeren Sinn, sondern auf seine Haltung zu ihr – am nächsten Tage hatte er ihr einen großen Blumenstrauß geschickt, mit Visitenkarte, ein schöner, glückverheißender Name darauf, natürlich keine roten Rosen, dazu sei er zu diskret, aber wunderschöne gelbe oder besser aprikosenfarbene Blüten – wie dieses Suchen nach dem originalen Farbton Kasia ungeduldig machte! – und langstielig, mindestens einen Meter lang – »Du weißt ja, die Länge der Rosen verhält sich umgekehrt proportional zur Länge des Geschlechtsteils« – nein, das wußte Maruscha nicht und wollte es auch gar nicht wissen und fand es gemein – »nicht schön« – von Kasia, so etwas zu sagen, nach allem, was vorgefallen war, auch durch deren Schuld. Kasia mochte Aristokratin sein oder war es am Ende sogar, aber Maruscha war es nicht, das sah sie jetzt ganz deutlich. Ratschläge aus Kasias Welt, die waren am Ende nur brauchbar, wenn sie das genaue Gegenteil davon tat.

Dreiundzwanzigstes Kapitel
    Kains Welt
    Das stattliche Gehöft der Mestrovics und die drei umliegenden Häuser waren wie mit einer großen Faust ins grüne Kissen des großzügig gefalteten Bergabhanges hineingedrückt. Die weißgekalkten Kuben mit den kleinen, in die dicken Mauern hineingeschnittenen Fenstern – dies älplerische Detail verriet, daß es ungeachtet der heftigen Hitze den Sommer über im Winter meterhohen Schnee gab – sahen aus, als hätten sie in ihrer verwechselbaren Allgemeinheit schon immer an diesem Hang gestanden, aber so war es nicht, das waren für ihr zeitloses Aussehen sogar ziemlich neue Häuser, vom Anfang der sechziger Jahre, als Ivanas Vater allmählich wieder Boden unter die Füße bekam und an den Bau eines Hauses für die Familie mit inzwischen acht Kindern denken konnte. Er baute sein Haus, wie er gelernt hatte, Häuser zu bauen. Da gab es keine Frage, wie so etwas aussehen solle. Wörter wie Stil und Geschmack hätte man ihm nur mit großem Aufwand begreiflich machen können. In der Schule hatte er Lesen, Schreiben und die Grundrechenarten mitbekommen, im Kopfrechnen übertraf ihn an Geschwindigkeit keiner, aber zu allem Papierenen blieb er auf Abstand. Wann genau man in Bosnien angefangen hatte, diesen Typ Häuser zu bauen, dürfte für einen Kunsthistoriker wahrscheinlich schwieriger zu bestimmen sein als die Zuschreibung eines Florentiner Trecento-Gemäldes. Es hatte sich um diese Häuser eben niemals jemand gekümmert, ebensowenig wie um die Menschen, die darin wohnten, die gerade genug für den Lebensunterhalt hervorbrachten und deshalb auch unter der gnadenlosen osmanischen Steuerschraube kaum etwas abzugeben hatten; da war wenig, was der Pascha hätte eintreiben können. Ich sehe auch etwas Türkisches in diesen Häusern, wenn das nun nicht wieder byzantinisch und damit letztlich dann doch antik sein sollte. Eine Sonderrolle kam dem Mestrovic-Gehöft dennoch zu: Es war vermutlich eines der letzten oder gar das letzte Haus in schier endloser Reihe, das in dieser Form und auch mit diesen Mitteln gebaut worden war.
    Das sah man ihm freilich nicht an. Die Zeitenwende zwischen dem handwerklichen und dem industriellen Bauen war hier auf diesem bosnischen Bergabhang nicht mit Vorboten, allmählich, gleitend abgelaufen, sondern als scharfer Schnitt. Eben noch hatte man alle Verrichtungen des Lebenserhalts, das Häuserbauen eingeschlossen, genauso vorgenommen, wie seit unvordenklichen Zeiten alle Ahnen das getan hatten – und nun tat man nichts mehr davon in dieser Weise, verlernte das schon geradezu ins Körperliche eingesunkene Wissen in Windeseile und sah auf die eigene Jugendzeit beinah ungläubig zurück wie auf das Leben ganz anderer Völkerschaften. Es gelang kaum mehr, sich vorzustellen, daß man selbst es war, der bis vor kurzem dies Leben kraftvoll und als gäbe es nichts anderes geführt hatte.
    Und es kam ihnen fremd und sonderbar vor, daß sie selbst es gewesen waren, die diese Häuser nicht nur gemauert, sondern die jeden Backstein mit den eigenen Händen geformt hatten. Unterhalb des Gehöfts gab es eine tiefe Senke, kreisförmig, wenn man genau hinsah, aber mit halbhohen Bäumen und Gestrüpp so ausgefüllt, daß man sie in ihrer Tiefe zunächst nicht richtig einschätzen konnte. Der Vater hatte den Bauplatz seines Hauses nicht willkürlich gewählt. Es gab hier größere Lehmvorkommen, die

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