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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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stets etwas kleiner als das Gemeine.
    »Und natürlich keinen Pfennig Geld«, das hätte erst recht nicht gesagt werden müssen, jetzt auch noch das Geld ins Spiel zu bringen, das gab dieser einzigartigen Glücks- und Unglücksfalle, in die sie geraten war, sofort einen Aspekt des Miesen.
    »Vergiß nicht«, Kasia mußte immer in dieselbe Scharte schlagen, »wenn man einen Mann einlädt, wird er impotent.« Ach, wäre das doch Maruschas Sorge gewesen.
    Sie entschied sich, keinen Versuch mehr zu unternehmen, Kasia ihren Zustand begreiflich zu machen. Alles hatte sich auf das verhängnisvollste verkehrt: Was als Entlastung geplant war, hatte sich zur denkbar größten, zur kaum zu bewältigenden Belastung verkehrt. Es hatte sich verkehrt – es war etwas Verkehrtes eingetreten, das fühlte Maruscha deutlich, aber wie dies Verkehrte fassen, wie es beim Namen nennen, um damit die vielleicht einzige Chance zu gewinnen, der Vorgänge noch einmal Herr zu werden?
    Als sie gegenüber Kasia des Fensterputzers Gedichte erwähnte, da hätte man meinen können, bei den Begegnungen des neuen Paares fänden Dichterlesungen statt; eine irrige Vorstellung; das Gedicht, das Maruscha so tief bewegt hätte, wie sie jetzt tatsächlich bewegt war, ist noch nicht geschrieben. Es war aber nicht so, daß ein Kunstwerk sie nicht hätte anrühren können, sie kannte das Phänomen einer unvermuteten kleinen Verzauberung vor allem bei Malerei. Wereschnikow sorgte dafür, daß bei ihren kleinen kultivierten Unternehmungen immer auch einmal durch ein Museum gewandert wurde – er selbst verkündete streng, man müsse darauf achten, nicht »zuviel« zu sehen und unterbrach dies Bilderbetrachten oft genau dann, wenn Maruscha gerade für die stille Kunst angewärmt war – »Ach, die Fresken von Sadomaso«, sagte sie mit noch nachklingender Ehrfurcht zu Kasia am Telephon, als sie gerade aus der Toskana zurückgekehrt war. Für Kasia gab es da die Gelegenheit zu nachsichtigem Kopfschütteln, aber in dem Lächeln über die Unbildung ihrer schönen Freundin entging der alten Dame, daß Maruscha da wirklich etwas gesehen hatte. In dem Kreuzgang von Monteoliveto hatte sich ihr die Schönheit in einem neuen Kleid gezeigt. Es gab da tatsächlich etwas zu entdecken, die Namen der Künstler waren ihr unvertraut, appellierten aber an ihre Phantasie. Kasia sah nun schon so lange nichts Schönes mehr in ihrem Sechsbettzimmer, wenn sie nicht in den Spiegel schaute, daß die Namen der Künstler und Orte für sie das Wichtigste geworden waren. Anhand der Namen, die ihr gutes Gedächtnis frisch bewahrte, versuchte sie sich eine ihr längst verschlossene Kunst-Welt zu vergegenwärtigen.
    Aber die Anschauung fehlte eben, vor allem auch im Fall des Fensterputzers, wobei es sehr rückständig ist, den jungen Mann immerzu bei seinem Zufallsjob zu benennen. Wie lange schon werden im westlichen Europa die Leute nicht mehr durch ihre augenblicklichen Tätigkeiten geprägt. »Fensterputzer« entsprach in Kasias Mund dem Brauch ihrer Jugend, Hitler den »Anstreicher« zu nennen. Jede seiner Wendungen, das Schattenspiel auf seinen Rippen, die kindliche Weichheit der Haut mit der harten Muskulatur darunter, die dicken zerstrubbelten Haare über den strahlenden Augen, die ein vollständiges Einverständnis mit der Welt und dem eigenen Körper ausdrückten – dies alles nahm Maruscha wie zum ersten Mal in ihrem Leben wahr. Niemals hatte sie einen Mann so angesehen. Nie wäre ihr der Einfall gekommen, daß es Anmut bei Männern geben könne – Kunststück, der Kleine war kein Mann, er war ein Knabe von dreiundzwanzig Jahren, aber wie viele Trampel gibt es auch in diesem Alter. Wereschnikow brachte sie eine aufrichtige Verehrung entgegen, wie man weiß. Sie schätzte seine Leistungen genauso hoch, wie er selbst das tat. Sie hatte sich entschlossen, seine Selbsteinschätzung ohne Abstriche zu übernehmen. Und sie sah ihn, ohne daß das Herz dabei geklopft hätte, als schönen Mann an, was bei ihr freilich bisher nicht mehr geheißen hatte, als wenn man einen rassereinen Hund lobt und den Mischling mit den kurzen Beinen wirklich liebt. Breegens Genicklosigkeit, sein kurzbeiniger Watschelgang, sein schwitzendes Talggesicht hinderte sie an keiner Zärtlichkeit. Sie mußte sich nicht überwinden, ihn zu küssen. Hätte jemand Breegens Statur verspottet, hätte sie das »nicht schön« gefunden.
    Es kam ihr unversehens eine Erleuchtung, jäh wie im toskanischen Kreuzgang: Sie

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