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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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auszubeuten sich lohnte. Neben der Landwirtschaft wollte er hier eine Backsteinbrennerei betreiben. Ivana war vier, als der Betrieb aufgenommen wurde. Zunächst war sie noch Hirtin von mehr als vierzig Ziegen, aber bald konnte man auch auf ihre Hände, so klein sie waren, nicht verzichten. Der Vater sah ohnehin seine gesamte Nachkommenschaft als große Werkgemeinschaft. Etwas anderes wäre auch gar nicht möglich gewesen; bei Ivana gab es, so eindringlich sie die Härte und Entbehrung dieser Kinderzeit schilderte, keinen Raum für Klagen, nur ein beträchtlicher Stolz war spürbar, dem Vater so nützlich gewesen zu sein und zum Lebensunterhalt der Gemeinschaft etwas beigetragen zu haben. Es war alles auch eine Geldfrage gewesen, im buchstäblichen Sinn. Geld war viel zu knapp, um als tägliches Zahlungsmittel zu dienen. Bezahlt wurde mit Schnaps und Butter, Lämmern und Zicklein. Das Geld wurde für die unabwendbaren Ausgaben gehortet. Arbeiter zu bezahlen hätte ein Loch in die genau austarierte Ökonomie gerissen. Für Arbeit wurde kein Geld ausgegeben, die leistete die Familie unbezahlt. Die Brüder an der Spitze, aber auch die ältere Schwester Anna, ein starkes großes Mädchen, das arbeiten konnte wie ein Mann.
    Zuerst wurde ein riesengroßes Loch gegraben. Drei Meter tief wurde geschippt, dann ließ man in dieses Loch Wasser ein, und dann wurden die am Rand aufgehäuften Erdbatzen wieder zurückgeschaufelt. Drei Ochsen, mächtige Tiere, urwildhaft, tief schnaubend und die schweren Köpfe schüttelnd, als erfülle sie verhaltener Zorn, mußten nun den großen Lehmberg mit ihrem eigenen Gewicht zusammentrampeln. Diese Ochsen im Kreis zu treiben war Ivanas Aufgabe. Das war etwas anderes als das Ziegenhüten, denn eine Ziege, das war ein ihr vergleichbar kleines Wesen, aber die Fleischberge auf Gertenschläge so gehorsam zu erleben, das beeindruckte sie. Sie erlebte sich in einer Position der Stärke, die sie nicht vergaß. Wer weiß, ob eine gewisse Verachtung der Männer ihre Grundlage nicht schon bei diesem Ochsentreiben erhalten hat. Wenn die Ochsen mit Mühe wieder aus der Lehmgrube herausgeleitet worden waren – über dicke Bretter, die unter den Tritten der ermüdeten Arbeitstiere wackelten –, stieg die ganze Familie mit nackten Beinen in den bei jedem Schritt quatschenden und saugenden Lehm und trampelte darin herum. Menschenkörper und Ochsenkörper brachten das Gewicht auf, das den Lehm zugleich fest und formbar machte. Als sie mir davon erzählte, stellte ich mir die lehmverschmierte, lehmbespritzte Schar der Mestrovics vor, die dort in der Tiefe zappelte und trampelte, und wie nah lag es da, mir meinen Bildhauer Mestrovic hier am Grubenrand zu denken oder auch mitten im Matsch, wie er sich von lebendigen Lehmskulpturen umgeben sah, Lehmmenschen, aus deren schlammverkrusteten Gesichtern nur das Augenweiß und die Zähne herausleuchteten. In seinen biographischen Notizen hatte ich keinen Hinweis auf solche Eindrücke gefunden, aber das hieß nichts: Sie mochten auf eine Ebene seiner Erinnerung gesunken sein, die ihm nicht mehr richtig bewußt war.
    Und sollte er gar beim anschließenden Backsteinformen dabeigewesen sein, dann hatte er die skulpturale Erfahrung in frühester Kindheit aufgenommen. Für das Formen gab es einen Holzkasten, der die Größe eines Ziegels besaß; in den wurde nun mit den Händen der Lehm gefüllt und bis in die letzte Ecke gepreßt, und wenn er oben glattgestrichen war, dann galt es, den Kasten behutsam umzustürzen und den Lehmblock auf mit der Hand gesägten Planken zum Trocknen zu bringen. Ivana machte mir dies Umstürzen und Auf-die-Planke-gleiten-Lassen vor, als zeige sie mir den Umgang mit einer Kuchenform, und tatsächlich backen die Kinder im Sandkasten ihre Küchlein, aber für Ivana und ihre Geschwister war das kein Spiel. Dreitausend Ziegel mußten am Abend des Tages auf den Planken liegen, und dann war auf fünfzehn Sonnentage zu hoffen, die es im Juli und August ziemlich zuverlässig gab. Die ganze Wiese vor dem Haus sei mit den Planken bedeckt gewesen, auf denen die braunen Ziegel der Sonne ausgesetzt waren. Es sei für sie immer verblüffend gewesen, wenn sie die weithin verstreuten Blöcke sah, die eben noch ein nachgiebiger Lehmkuchen gewesen waren. Diese Blöcke würden zusammen ein ganzes Haus bilden, wie das eigene mit meterdicken Mauern, ein Haus wie ein Felsen, wie aus dem Boden gewachsen.
    Wenn die Lehmziegel trocken waren, mußten sie schließlich

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