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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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gemäßigter Widerspenstigkeit, gelegentlich sogar Dankbarkeit an, aber innerlich entfernte sie sich noch mehr von ihm. Eine grundsätzliche und zugleich allein angemessene Einsamkeit wurde ihr in dem Augenblick, in dem ein neuer Mensch aus ihr hervortreten sollte, so deutlich wie nie zuvor.
    Während der Geburt war ich verreist. Als ich zurückkehrte, war die Wohnung unaufgeräumt. Die Schubladen der Kommode für die Hemden gähnten mich herausgezogen an. Das Bett war zerwühlt. Es sah aus, als sei eingebrochen worden und Fremde hätten bei mir gehaust. Dabei war das einfach der Zustand, in dem ich die Wohnung verlassen hatte, aber ich war inzwischen so gewohnt, wie durch Zauberhand meine Zimmer in nüchterner und durchlüfteter Ordnung wieder vorzufinden, daß ich ein paar Minuten verwirrt in meinem selbstgeschaffenen Chaos stand.
    Ivana entschuldigte sich am Telephon allen Ernstes, kurz vor der Geburt die Wohnung nicht mehr geputzt zu haben. Es sei fest eingeplant gewesen, aber die Wehen seien losgegangen, als sie sich schon in meinem Treppenhaus befand. Sie hatte sich auf die Stufen setzen müssen. Die zänkische Bewohnerin des ersten Stockes hatte sie dort entdeckt und ein Taxi gerufen. In weiblicher Solidarität war sie sogar mit zum Wagen gegangen, obwohl Ivana ihre Versuche, sie zu stützen, brüsk zurückwies. Es war dennoch tröstlich zu hören, daß diese Frau angesichts einer Notlage unversehens für etwas brauchbar war.
    Im Krankenhaus traf ich ein, als Ivana ihrem Sohn gerade die Brust gab. Ihr Gesicht war rot gesprenkelt und gedunsen. Die Geburt war anstrengend gewesen, ein Kampf ihrer Muskeln, die nicht wußten, ob sie das Kind aus dem Leib herausdrücken oder ob sie es gegen mächtigen Widerstand darin behalten wollten. Aber ihre Brust war von starkem, tiefem Milchweiß, Weiß als leuchtende Farbe, nicht als Abwesenheit von Farben, gar als Blässe. Hier füllte sich der letzte Satz der Apokalypse mit Leben, die Erwähnung der Gewänder, die im Blut des Lamms weißgewaschen werden. Ihre Haut hatte ein Weiß, das seine Kraft aus kräftiger, warmer Durchblutung bezog. Das Gesicht des Knäbleins war wie ärgerlich zusammengefaltet. Seine Augen, die noch nichts festhielten, blickten, so schien mir, kummervoll, als stecke ihm der Schrecken der Geburt in den Gliedern. Sie sah mir entgegen, als wolle sie sagen: Du findest mich in der Tinte sitzen, aber das macht nichts, ich komme schon wieder heraus.
    Stipo trat ein, er wirkte eingeschüchtert und blieb, während ich da war, auf Abstand zum Bett. Ich merkte ihm an, wie unheimlich ihm die Veränderung der Lage war, eben auch seiner eigenen Lage. Ein weiterer Mensch war in ihren kleinen Kreis getreten, der Ivanas Gewicht in ihrer Verbindung noch beträchtlich erhöhte. Es stand aber jetzt schon fest, daß man den kleinen Branko der Mutter in Bosnien übergeben werde, alles andere wäre gar nicht möglich gewesen. In ihrer Jugend hatte es das gegeben: einen Säugling in seinem Korb, der am Rand des Feldes schlief, während die Mutter Heu machte und ihren Rechen nur weglegte, um ihn an die Brust zu nehmen. Ich fand die Vorstellung reizvoll, der kleine Branko liege bei mir auf dem Sopha, während Ivana Fenster putzte, aber das war dummes Zeug, nicht durchzuhalten, die Putzstellen lagen viel zu weit auseinander. Den Wunsch, ihren Sohn aufwachsen zu sehen, hätte vielleicht sogar sie verspürt, aber nie aussprechen können. Seelische Bedürfnisse zu äußern war ihr nicht gegeben. Sie kannte wahrscheinlich noch nicht einmal auf Kroatisch das Wort Sentimentalität, von dem, was es bezeichnete, zu schweigen.
    In ihrem Elternhaus sah ich sie mit dem nun schon zwölf Wochen alten Branko wieder, der Anstalten machte, den Kopf selbständig zu heben, und dessen Augen inzwischen Genaueres wahrzunehmen schienen. Solange Ivana und Stipo hier Ferien machten, während der Hochzeit des Bruders im wesentlichen, würde sie sich noch um ihn kümmern. Danach sollte sie ihn ihrer Schwägerin in die Arme legen, nicht umsonst, nebenbei. In der Familie des älteren Bruders erwartete man ein Zubrot für die Pflege, und wenn das nicht gefordert worden wäre, hätte Ivana es ihnen aufgedrängt. Ihr Ehrgefühl ertrug es nicht, irgendwem etwas schuldig zu bleiben.
    Sie löste sich keinen Augenblick von ihrem Sohn. Sie trug ihn mit sich herum, aber als sei er nicht ein Säugling, sondern ein zusammengeschrumpelter hilfloser Greis, mit dem sie streng sprach, weil er nicht deutlich

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