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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Geschichte überwindenden Volkswerdung wäre erreicht. Solche Hochzeiten fanden gelegentlich auch statt. Mirkos jedoch war, wie man weiß, keine dieser Art, bei seiner Hochzeit blieb man ebenso unter sich wie bei allen vorausgegangenen in seiner Familie. Die Mischehen hatten im übrigen nicht die erhoffte Wirkung. Stets setzte sich die eine oder die andere Seite durch, entscheidend blieb, welcher Familienclan der mächtigere war, wie es ja auch Stipo bei seiner Einheirat in das Haus Mestrovic erfahren hatte.
    Auf dem weiten Abhang war eine bunte Ansammlung von Gefährten abgestellt. Hier standen Autos, nagelneue deutsche darunter, neben Traktoren, die einen Erntewagen mit Strohballen als Sitze herbeigezogen hatten, und nicht wenige Leiterwagen; die Pferde waren ausgespannt und grasten in der Nähe. Von einem bestimmten Winkel aus waren nur Pferdewagen und abgespannte Pferde zu sehen, und es störte die Illusion nicht, daß die Wagen dicke Gummireifen hatten. Dies war wie ein Feldlager in alten Zeiten, der Troß einer Armee im Dreißigjährigen Krieg, an dem die kroatischen Söldner ja ebenfalls ihren Anteil hatten. In der Nähe der Pferde fanden sich die Männer in Gruppen, hier wurde geraucht. Gelegentlich zog ein großer Qualmschwaden von der Holzkohlenfeuerstelle, wo die Lämmer am Spieß steckten, herüber und mischte sich mit dem Zigarettenrauch.
    Mirko war von kindlicher Feierlichkeit. Ich sah ihn nur von fern in seinem weißen Hochzeitsanzug, einem erfundenen Kostüm mit Spencer und tief ausgeschnittenem Westchen, er sah in der Sommerhitze aus wie ein Eislaufstar. Seine Braut war wie die Zuckerpuppe auf der Hochzeitstorte, ein Schneewittchen mit schwarzem Haar unter dem Tüllschleier und rotem Herzkirschenmund, ihre Hände waren oval und klein. Keine Frau im Haus Mestrovic hatte solche Hände, aber sie würde damit voraussichtlich auch niemals Backsteine schleppen müssen. Sie war jenseits der Epochenwende geboren, der Lebenskampf ihrer Vorfahren war auch für sie nur noch ein Märchen. Mirko hätte nicht besser wählen können, wenn es allein um das äußerlich passende weibliche Pendant zu seiner eigenen Erscheinung gegangen wäre; und ich traute ihr zu, daß sie, waren die Aufregungen des Hochzeitstags erst vorüber, die auch ihr eine strahlende Feierlichkeit auferlegten, ähnlich quirlig wäre wie ihr Mann. Man durfte darauf gespannt sein, wie diese beiden Luftgeister zu einer Beständigkeit ihrer Verbindung gelangen wollten. Da und dort sah ich Mestrovic-Köpfe in der Menge; die schönen hohen Stirnen, die klaren Augen, die schmallippigen Münder, lauter Spielarten von Ivana, Anna und ihrem Vater, selten so römisch ausgeprägt allerdings.
    Ivana arbeitete hart und bewegte sich vorzugsweise laufend in ihrem flammendroten Kostüm, das ihr so gut stand. Die Liebe zu Rot, zu Feuer und Blut und dornenbewehrten Rosen gehörte zu den wenigen Träumen, die sie sich zu realisieren gestattete. Einmal sah ich sie mit dem kleinen Branko im Arm. Sie trug ihn wie eine Beute an sich gepreßt, als habe sie ihn geraubt, und blickte dabei wild um sich. Das war aber nur der konzentrierte Blick der Gastgeberin, die blitzschnell zu erfassen sucht, ob überall für alles gesorgt ist, aber ihr verlieh er die Ausstrahlung einer unüberwindbaren Einsamkeit inmitten ihres Volkes, eine Ausgeschiedenheit aus jeder größeren Gemeinschaft bis auf die mit dem kleinen Wesen in ihren Armen, das sie im Leib getragen hatte und das also unzweifelhaft ihr zugehörte.
    Aus der Kleinstadt war ein Mann mit einem Eiswagen gekommen, der sich von der Menschenmenge ein Geschäft erwartete. Er stand bei den Pferden mit seinem Holzkasten auf vier Rädern, darin ein Bottich mit der buttermilchgerührten Eiscreme, umgeben von mit Vieh-Salz bestreuten Eisblöcken. So hatte das Fest einen Kern, in dem es sich ballte, wo die Vielzahl der Trinker und Schmauser nahe an den Holzkohlerosten unter der würzigen Wolke zusammenhing, und dann fernere Zonen, in denen es ausfranste, wo die Raucher und die Eisesser – vor allem Frauen und Kinder – sich mit Hunden und Pferden vermischten.
    Auf einer städtischen Cocktailparty kann man sich fehl am Platze fühlen, wenn man die Leute nicht kennt und nicht die Kraft hat, mit Wildfremden ein belangloses Gespräch zu beginnen, während das Gegenüber die Blicke schweifen läßt, ob nicht wichtigere Gäste in der Nähe warten. Hier sprach niemand mit mir, ohne daß mir die Zeit lang geworden wäre. Mirkos Hochzeit

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