Das Blutbuchenfest
war ein Fest, das überall dieselbe Dichte hatte. Es trug mich, während ich umherwanderte. Ein Fetzen Lammfleisch, scharf geröstet und mit dem Geschmack von Rauch und Holz, und eine rohe Zwiebel dazu, im Plastikbecher Schnaps, der wie ein üppiger Pflaumenbaum duftete, dies alles nahm ich gleichsam nebenher in mich auf, in dem summenden, brummenden Menschenmeer treibend. Es war bald auch Musik zu hören, ein abgerissenes Tuten zunächst wie aus einem fernen Saxophon, dann setzten Akkordeon, Trompete und eine jodelnde Klarinette ein, eine auf Moll gestimmte, ebenso schnelle wie sehnsuchtsvolle Musik, so wie ein abfahrender Zug Abschiedsschmerz und zugleich Freude am Aufbruch auslösen kann. Die Musikanten waren ledern braunhäutig, die Trompete zerbeult, das Riesenakkordeon abgenutzt, die braunen Pratzen des Akkordeonisten hatten lange, gelbe Fingernägel wie Hornschäufelchen. Die behinderten den Weg seiner Hände über die vielen weißen Knöpfchen der Tastatur aber nur wenig. Vielleicht wurde nicht immer das richtige Knöpfchen getroffen, aber das störte nicht. Diese Musik bedurfte keiner optimalen Reproduktionsbedingungen, im Gegenteil vielleicht sogar, sie war kräftig genug, um ein paar Macken und Ausrutscher nicht nur zu ertragen, sondern geradezu von Fehlgriffen ihre eigentliche Vollendung zu empfangen. Mirko und seine schöne, zierliche Braut schwenkten im Kreis herum, seltsam ungeschickt. Sie tanzten offenbar sonst nicht auf Tuchfühlung, aber jetzt wurde so etwas erwartet, und bald waren sie von einer Woge jugendlicher Tänzer umgeben. Nur noch das Brautkrönchen bezeichnete auf der Menge schwimmend den Ort des Brautpaares.
Stipo sah ich am Rand des Tanzbodens stehen, in Gedanken versunken, den Mund halb geöffnet: »Jetzt tanzen sie, und später kommt etwas anderes«, aber wenn er tatsächlich so etwas im stillen formuliert haben sollte, dann gewiß ohne Häme, sondern aus einem Riesenabstand zu allem heraus, als einer, der auch das, was nach dem Tanzen kommt, schon hinter sich hatte und wußte, daß es einen nicht umbrachte.
Für Ivana gab es freilich keine solche Gelegenheit zu Versunkenheit. Sie war noch nicht einmal in der Kirche dabeigewesen, dazu hatte sie keine Zeit, und wenn sie sich in das Dorfkirchlein auch noch hineingedrängt hätte, wäre das ohnehin niemandem aufgefallen. Auch ich blieb mit der Mehrzahl der Gäste draußen, wo zunächst gedämpft geplaudert und sogar geraucht wurde, im Fortgang der Zeremonie, die durch den blechernen Klang einer kleinen Glocke angezeigt wurde – woher hätten in Bosnien gute Glocken kommen sollen? –, sammelte sich aber die Aufmerksamkeit aller Draußengebliebenen auf die Kirchentür, und schließlich lag man auf den Knien, ohne von den Vorgängen im Inneren durch die schmale Tür mehr als die Goldpünktchen der Kerzenflammen auf dem Altar mitzubekommen.
Es war kein Opfer für Ivana, daß sie auf ihre Teilnahme in der Kirche verzichtete. Sosehr sie ihren Bruder liebte, so wenig sagte ihr seine Braut zu. Ja, für das Mädchen war Mirko ein Himmelsgeschenk, ein Glücksgriff, aber umgekehrt sah das anders aus. Was für Ivana selbst eine Denkunmöglichkeit war, die Auflösung ihrer Ehe, konzedierte sie ihm ohne weiteres. Männer ließen sich nicht aufhalten. Wenn sie einer Frau überdrüssig waren, schritten sie zur nächsten. Das galt natürlich nicht für Stipo. Seiner durfte sie bis zur Verachtung sicher sein, der Arme, aber Mirko billigte sie Freiheit zu, und deshalb war das ganze Gewese in der Kirche auch nicht so wichtig. Je üppiger eine Hochzeit gefeiert wurde, desto unglücklicher wurden die Leute hinterher, das hatte sich ihr längst zur Erfahrung verhärtet.
Rastlos lief sie über die abschüssige Wiese, über den Hof, an den Feuern vorbei, von da ins Haus zur Küche, in den Vorratskeller mit den Schinken und eingemachten Pilzen und den Sliwowitz-Ballons. Sie war mit dem Wissen aufgewachsen, daß in solchen Ballons das bare Geld schwappte; wie viel davon würde heute in fremde Schlünde gegossen werden? Sah sie in Menschengesichter, dann strahlte sie ihr kühles und doch herzerwärmendes Strahlen, das in seiner Heftigkeit einen spürbaren Hauch lebensfreundlicher Kraft aussandte. Glaubte sie sich hingegen unbeobachtet, dann wurde ihr Gesicht hart bis zur Finsternis. Die heute wieder mit Lippenstift ein wenig vergrößerten Lippen preßten sich zusammen und wurden trotz der Farbe zum Strich. So abwesend das aussah, es war die
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