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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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würden er und die römische Kirche gewachsen sein, es wäre dann halt etwas anderes als das Gewohnte.
    »Nein«, fuhr er unversehens in großem Sprung zum Ausgangspunkt zurückkehrend fort, »Ivan Mestrovic hat hier nie gelebt.« Geboren sei er möglicherweise hier, obwohl man den Akten nicht ohne weiteres trauen dürfe. »Es war damals nicht wie bei Ihnen«, sagte er gewinnend. Unmittelbar nach der Geburt seien die Eltern jedenfalls nach Zagreb gezogen, »Ich weiß wirklich nicht, wieviel bosnisches Wasser und wieviel bosnisches Brot er in sich aufgenommen hat. Ich möchte ihn gern zu einem bosnischen Künstler machen, es täte dem Land gut, aber das geht nicht, er verdankt seine Kräfte einer anderen Erde.« Mirko hatte kein Wort dieser Rede verstanden, aber er blickte mich erwartungsvoll und freudig an. Es bestand für ihn kein Zweifel: Die Rede des Pfarrers durfte er sich als eigene Leistung zurechnen.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Schwarze Folklore
    Ivanas Kind war jetzt sieben Wochen alt, Arme und Beine waren noch fest an den Rumpf geschmiegt, als wolle es die Form nachahmen, in der Ivana einst selbst gewickelt worden war, eine kleine Mumie, fest eingepackt, daß die Beine sich nicht bewegen konnten, das Kinder-Paket mit einem blauen Band kreuzweise umbunden. So hatte sie in dem Korb gelegen, in dem jetzt ihr Sohn Branko lag, mit inzwischen übrigens wieder eindeutig kroatischem Namen, die Zeiten waren andere.
    War die Schwangerschaft wirklich so frei von Beschwerden gewesen, wie Ivana behauptet hatte? Wenn ich sie beladen mit meinen Mülltüten, mit Zeitungspacken und den leeren Flaschen meine Wohnung verlassen sah, war mir zum Schluß unwohl gewesen. Was unternahmen die jungen Frauen meiner Bekanntschaft nicht alles für die Vorbereitung einer Geburt. Sie gingen regelmäßig zum Arzt. Sie ließen sich über die Risiken unterrichten. Sie machten Gymnastik, um die Geburt weniger schmerzhaft werden zu lassen. Zu alldem hatte Ivana keine Zeit oder wollte sie sich jedenfalls nicht nehmen, und Stipo war nicht der Mann, sie in dieser Hinsicht zu etwas zu bewegen. Er holte sie aber bei ihrer jeweils letzten Stelle am Abend ab; ich sah ihn auf der Straße stehen, mit seiner von weitem erkennbaren nach vorn schießenden Nase. In diesem Warten war etwas Schuldbewußtes, als versuche er mit ungeeigneten Mitteln weniger mühevoll werden zu lassen, was er Ivana eingebrockt hatte. Dabei bin ich davon überzeugt, daß in dem unzärtlichen Verhältnis zwischen ihm und Ivana ein Vorwurf, zu ungelegener Zeit schwanger geworden zu sein, auch weiter keine Rolle spielte. Einen solchen Vorwurf zu erheben hätte gar nicht zu ihr gepaßt, das wäre für sie wie ein Hadern mit dem Wetter oder mit dem Tod gewesen. Sie sah ihr Leben als Kampf und war gerüstet, daß sich nach und nach jede erdenkliche böse Überraschung einstellen werde, die sich aus der unheilvollen Verbindung von Schicksal und Zufall ergab.
    Stipo war der Vater des Kindes, das sie erwartete, gewiß, wer sonst? Diese Verbindung, sowenig sie Frühlingsblütenträumen entsprechen mochte, die sie auch gar nicht geträumt hatte, war etwas Endgültiges. Sie waren aneinandergekettet mit unsichtbaren Handschellen. Manchmal rüttelte sie daran, wenn er ihr gar zu lästig wurde, aber nie in Befreiungsabsicht, nur um der Ungeduld einen kleinen Spielraum zu gewähren. Galeerensträflinge der alten Zeit haben berichtet, wie man Haltungen entwickelt, in denen sie die Ketten sogar für eine kurze Zeit vergaßen. Und dann halte ich auch, Ivana betrachtend und die Gespräche bedenkend, die ich mit ihr, während sie bei mir putzte, geführt habe, für nicht ausgeschlossen, daß sie im allertiefsten dies Kind für ausschließlich ihre Sache ansah. Nicht, daß sie sich über die natürlichen Vorgänge getäuscht hätte – wie konnte das eine Frau, die mit vier Jahren begonnen hatte, Ziegen zu hüten und den Bock bei seiner herdenvermehrenden Tätigkeit zu beobachten –, sondern daß es zu ihrem geheimsten Bild von sich selbst gehörte, ein Kind auch ohne Mann hervorbringen zu können, Vertreter eines Geschlechts, das sie als so unendlich viel schwächer erkannt hatte, als sie selbst es war. Die Jungfernzeugung war das ihr einzig Angemessene.
    Wie jeder Schlag, der ihr bestimmt war, sauste auch die Schwangerschaft auf sie herab, ließ sie wanken, vermochte nicht, sie zu stürzen, und betraf vor allem sie allein. Sie nahm Stipos Hilfsbereitschaft während der neun Monate mit

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