Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
die Silbe »neu« war keine Empfehlung.
    Soeben kam der Pfarrer die Stufen herab, erkennbar an seiner fleckigen Soutane, und auch ich war offenbar leicht als Fremder erkennbar. Er trat mit freundlicher Miene auf mich zu und begann sofort, Italienisch zu sprechen. Er habe in Rom studiert, ein weltläufiger Mann, hier war sie noch einmal erlebbar, die Formation, die die katholische Kirche ihren Geistlichen angedeihen ließ, wenn sie Bauernbuben zu Priestern und Bischöfen machte. Der Priester war glattrasiert, die Wangen schimmerten bläulich, als seien sie gut eingecremt, ein gepflegter Mann, auch das Haar war mit Frisiercreme in Form gebracht, die Jahre in Italien leuchteten mir sofort ein.
    Er bat uns ins Pfarrhaus, die »Canonica«, wie er sagte, ein niedriges langgestrecktes Gebäude mit einem sehr breiten Korridor, wie eine kleine Straße, von der rechts und links die Zimmertüren abgingen. In seinem mit Pendeluhr und Papstphotographie karg und würdig geschmückten Empfangszimmer ließ er uns einen Augenblick allein, um alsbald mit einem rotbackigen Mädchen mit Kopftuch zurückzukehren. Sie trug eine Buttercremetorte, nichts wäre ihrer Erscheinung angemessener gewesen.
    Mestrovic, Ivan? Als ob er den nicht kenne, wie er den nicht kennen sollte! Der Meister, der Michelangelo Bosniens, das war ganz ernsthaft gesagt, schon bei Nennung des Namens hatte ihn sein Lächeln verlassen. Es war auch gar nicht falsch, was er sagte, obwohl gewiß nicht das Ergebnis eigener kritischer Bemühung, aber wenn jemand der Welt eingerieben hatte, daß Mestrovic ein Reis aus den Lenden des Michelangelo sei, dann war es der Meister selbst. Ein Wunder, sagte der Pfarrer, aus diesem Land sei noch niemals ein Künstler gekommen. Dieses Land habe sich gegenüber künstlerischer Schönheit stets unempfindlich gezeigt. Hier gebe es nicht einmal ein dekorativ geschnitztes Stuhlbein, einen mit Ornament versehenen Türpfosten. Gleichgültigkeit gegenüber jeder Art von Gestaltung der Materie – wie schön klangen diese ihm in Rom vermittelten Begriffe in seinem Mund, sie waren selten gebraucht, nicht abgenutzt deswegen, sondern blinkten frisch –, diese Gleichgültigkeit sei hier erblich. Man sei geneigt, hier alles Schlechte den Türken in die Schuhe oder besser in die Babouche zu schieben, mit einem gewissen Recht, aber eines hätten die Türken in Bosnien nicht zerstört: den Schönheitssinn, der sei nämlich auch vorher nicht dagewesen. Sehr lange sei dieses rauhe Land sich gleichgeblieben. Lange hätten die Leute in ihren einfachen Katen gehaust, ohne sich um irgend etwas zu kümmern, das nicht den Streit in der Familie oder mit den Nachbarn betraf. Aber diese Epoche sei jetzt an ihr unwiderrufliches Ende gelangt.
    »Der Deckel auf dem bosnischen Topf ist angehoben«, sagte der Pfarrer. Er genoß sichtlich die Gelegenheit zu überraschenden Bildern. Luft aus Europa ströme ein, und alle bis eben eingetrockneten und eingefrorenen Kräfte begännen sich zu entfalten und zu wachsen. Und plötzlich sei in diesem riesigen, leeren Land nicht mehr Platz genug für alle Völker. Plötzlich werde man sich bewußt, daß das eigene Volk von lauter anderen Völkern umgeben lebe, und plötzlich sei das eine unerträgliche Vorstellung. Alle Völker hätten plötzlich eine Idee von sich selbst – wie sie seien und wie sie nicht seien, und was ihnen zuträglich und was ihnen unzuträglich sei. Unzuträglich seien die anderen – und das stimme auch in gewisser Hinsicht, aber man habe so lange davon absehen können, daß es auch wieder nicht stimme. Ich verstand, daß der Pfarrer versuchte, einen höheren Standpunkt einzunehmen, einen römischen gleichsam, von historischer Weitläufigkeit, in den großen Räumen des Imperiums denkend, in dem unter einem einzigen purpurnen Mantel allerlei Verschiedenes nebeneinander gedieh. Seine Kroaten gehörten zu Rom, da war es nicht so wichtig, ob sie in Bosnien in lückenlos kroatischer Umgebung lebten.
    »Es knirscht im Gebälk, das ganze Haus beginnt sich zu bewegen«, sagte der Pfarrer und rieb die beiden Fäuste aneinander, zwei Feldsteine darstellend, die eben noch starr in der Mauer gesteckt hatten und sich aus ihrer Starre nun lösten. Wenn ein Haus auf solchen Steinen stand, dann würde es bald wackeln und einstürzen. Das war alles aber nicht apokalyptisch gesprochen. Der Pfarrer verband seinen Ausblick in die nähere Zukunft nicht mit Drohungen. Es würde eine neue Lage entstehen, und auch ihr

Weitere Kostenlose Bücher