Das Blutbuchenfest
artikulierte. Sie war sehr geschickt, Branko so zu halten, daß sie dabei noch etwas anderes arbeiten konnte; einfach Eiapopeia zu machen wäre ihr ungehörig erschienen. Ich mußte an die Katzen denken, die ihre Jungen am Nacken mit der Schnauze ergreifen und die blinden Lebewesen hin und her schleppen. Branko war ein auffällig stilles Kind. Er zappelte wenig und schrie selten. Er zeigte auch seinen Hunger oder ein anderes Mißbehagen nur mit diskreten, eigentümlich knarrenden Lauten an, als habe er sofort verstanden, daß Säuglingsgeplärr seine Mutter ungehalten machte. Einmal war ich dabei, als er nach dem Trinken, Ivana hatte ihre Bluse gerade wieder geschlossen, einen Schwall Milch aus dem zierlichen Mündchen herauslaufen ließ. Ivanas Bluse wurde naß, sie troff von ihrer eigenen Milch, und das erheiterte sie unversehens, sie lachte und schwenkte Branko, der sie verdutzt ansah, und kam mir zum ersten Mal glücklich vor mit ihrem Sohn. Die seltenen Gelegenheiten, wenn sie lachte, veränderten sie stets auf das erstaunlichste. Die Härte löste sich auf, eine mädchenhafte Anmut lag auf ihrem Gesicht, sie wurde ein anderer Mensch, für sehr kurze Zeit allerdings. Aber das Gefühl, daß die beiden, Mutter und Sohn, aufs engste verbunden waren, unzärtlich, aber nicht wie in Ivanas Verhältnis zu Stipo, sondern wie der Mensch an seinen Armen und Beinen hängt, das prägte sich mir stark ein. Sie waren mehr als nur eine Schicksalsgemeinschaft, zwei Schiffbrüchige in einem Rettungsboot, wie sie mir kurz nach der Geburt von Branko vorgekommen waren.
Daß Ivana eben erst entbunden hatte, bedeutete nicht, daß sie nicht wesentlich in die Hochzeitsvorbereitungen einbezogen gewesen wäre. Die Mutter behauptete zu Recht den Stuhl. Sie war, wie sie da in der Mitte des Hofes saß und ihre Töchter dirigierte, eine wahrhaft unbewegte Bewegerin.
Das große Lämmerschlachten bildete den Anfang der Hochzeitszeremonie. Es war, als sei diese Lämmerherde, die unruhig und eng aneinandergedrängt im Hof ihre Bestimmung erwartete, eine Opfergabe, als müsse der Hof, in dem morgen die Festgäste schmausen würden, zuvor in Blut gebadet werden. Später sah ich die abgezogenen Leiber nebeneinanderhängen. Ich zählte vierzig. Sie sahen aus wie kleine Menschenkörper, wie die nackten Athleten auf den rotfigurigen griechischen Vasenbildern, bei denen die Fesseln im Gegensatz zur muskelschwellenden Wade auf einen Punkt zusammenlaufen, der muskulöse Bauch tief unter dem vorgewölbten Brustkorb versunken ist und der ganze Körper in einem Auf- und Abschwellen besteht, und diesen Eindruck verstärkte, daß die tierischen Köpfe abgeschnitten waren; daraus und aus den Innereien wurde eine feinsäuerliche Suppe gekocht mit einem unvergleichlichen Geschmack, eine helle Crème, vom Grau des Hirnes und der Nieren, ihr Duft zog durch das Haus.
Am Hochzeitstag lag beizender Rauch über dem ganzen Gelände. Es war heiß und windstill. Den Gästen stand der Schweiß auf der Stirn, denn sie waren festlich gekleidet und noch nicht soweit, es sich bequem zu machen, eine Zweiklassengesellschaft übrigens, eine starke Minderheit war in Tracht erschienen. Jetzt sah ich das Kleid, das Ivana mir beschrieben hatte, die schweren Leinenfalten mit der roten Stickerei. Die Männer dieser Trachtenfrauen trugen dicke schwarze Felljacken ohne Ärmel, darunter weiße pludrige Hemden aus demselben dicken Leinen mit einer leichten Graustichigkeit. Aber auch die Männer in den starren schwarzen Anzügen mit gelockerten düsteren Krawatten hatten braune Köpfe und große Hände, und die Frauen mit den bunten kleinstädtischen Kostümen zeigten einen goldenen Zahn beim Lachen und hatten das lange, einst geflochtene und hochgesteckte Haar noch nicht so lange abgeschnitten.
Die Gäste waren zum Teil aus größerer Entfernung angereist. Die Höfe der Kroaten lagen verstreut, wie ich schon festgestellt hatte, dies war kein überwiegend kroatisches Siedlungsgebiet, es war so gemischt, daß es nach der Staatsideologie des eben von Sprüngen durchzogenen und in seinen Fundamenten erschütterten Jugoslawien geradezu als ideale Voraussetzung zur Schaffung des künftigen Homo jugoslavensis angesehen werden mußte. Jetzt hätten alle Nachbarskinder, die verschiedenen Völkern entstammten, nur noch in einer Massenhochzeit, wie sie Alexander der Große in Susa zwischen Griechen und Perserinnen veranstaltet hatte, vermischt werden müssen, und das Ziel einer neuen, die
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