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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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»und das geht«, sagte sie mit der Miene wilder Überzeugtheit, wer klage, keine Zeit zu haben, der sei einfach nur schlecht organisiert. Organisation sei nichts anderes, als Prioritäten zu setzen: »Ich habe gelernt, Prioritäten zu setzen«, sagte sie, in ihr Bekennertum schlich sich nun das Lächeln listiger Überlegenheit. Sie besaß den Trick, der ihr jeden Vorsprung verschaffte: Prioritäten setzen. Auch die Stute freute sich darüber, denn sie war selbst eine Priorität, auf die die Reiterin sich in ihren maßgeschneiderten Jodhpurs setzte, aber freilich nicht die einzige. Eine andere Priorität war der Spaß.
    »Meine Philosophie ist, daß Geldverdienen Spaß machen muß«, sagte die Reiterin. Ein Kellner näherte sich mit dem Vorspeisenteller, einer Fischpastete. »Ohne Knoblauch und ohne Zwiebel«, sagte die Reiterdame streng, der Kellner kam aus Afghanistan, von eindrucksvoller Männlichkeit, nur um die deutschen Vokabeln stand es schlecht. Er zögerte, dann nahm er den Teller wieder weg. Sie wandte sich mir mit sichtlicher Zufriedenheit zu.
    »Ich lasse mich nicht betuppen«, unversehens klang ihre Sprache rheinisch. Man konnte sich vorstellen, daß sie eine lange Speisenfolge Gang für Gang zurückgehen lassen würde und zum Schluß hochzufrieden vom Tisch aufstand, gesättigt durch die erfolgreiche Betätigung ihres Scharfsinns. Sie trug einen kostbaren indischen Schal mit einer feinen komplizierten Stickerei.
    »Was meinen Sie, was so was in Indien kostet?«
    Zuckte ich wenigstens die Achseln? Viele feine Fingerchen hatten mit Engelsgeduld dies Muster gestickt – ich sah unwillkürlich Winnies kühle Finger mit Nadel und Faden beschäftigt vor mir, einen Knopf annähend, das Fädchen mit den Lippen anfeuchtend, es mühelos durchs Nadelöhr führend. Ihre Augen waren scharf, obwohl sie nichts sonst so präzis erfaßten, nur eben dies Fädchen.
    Die Reiterin war enttäuscht. Sie wollte mich verblüffen, ich sollte den Schal zu billig oder zu teuer schätzen. Zweitausend Mark habe dieser Schal in Delhi gekostet, sagte sie etwas lustlos, schon beinahe gereizt durch meine Stummheit, aber in Dubai habe sie denselben Schal – »denselben Schal, absolut denselben Schal« – für neuntausendfünfhundert Dollars gesehen, und in Paris kenne sie ein Geschäft – »Dort würde ich nie etwas kaufen, nie!« –, wo »derselbe Schal« – ja, war es denn zu fassen? – vierzehntausend koste. Ein Irrsinn, aber wert sei er es im Grunde schon. Ausgesuchten Kundinnen gebe sie einen gewissen Teil ihres vorteilhaften Einkaufspreises weiter. Sie verschenke die Schals nicht, das nicht, aber sie garantiere für faire Preise – »Meine Kundinnen honorieren Fairness – meine Philosophie ist, daß du immer nur zurückkriegst, was du gibst.«
    Wahrhaftigen Gottes – Winnies Worte, in ihrer rührenden, nie verstimmenden Altklugheit aus irgendeinem Abreißkalender nachgebetet, aus ihrem Mund aber unversehens weise, ja geradezu jesushaft wirkend. Es waren nicht die Worte, die in endgültiger Wahrheit leuchteten, es kam darauf an, welcher Mund sie aussprach.
    Ich schaute die Frau mit leerem Blick an. Ich war ihr so fern, wie ich mich hinter dem Paravent von mir selbst entfernt hatte. Meine Geistesgegenwart war aus mir herausgeronnen wie aus einem rostigen Eimer, das war nicht aufzuhalten. Hier saßen wir und aßen; ich jedenfalls schob mir Bissen in den Mund, ohne zu schmecken, was ich zu mir nahm. Die faire Schalverkäuferin blieb sieghaft bei der Ablehnung knoblauchverdächtiger und damit der meisten Gerichte, und ich lauschte ihren Lebens- und Geschäftsgrundsätzen, und zugleich war Winnie immer noch tot, unbegreiflich tot, ausradiert, zermahlen von Mühlsteinen, die auch ich angetrieben hatte.
    Es war mir jetzt plötzlich sehr wichtig, der fairen Reiterin, der Schalpreisvergleicherin und Siegerin des Lebens genau zuzuhören aus meiner Ferne: Dies alles wurde gedacht und gesagt, während Winnie tot war. Die Stunden, die nach ihrem Tod verstrichen, wurden mit solchen Reden angefüllt. Die solchermaßen ausgefüllte Zeit war eine Zeit, an der Winnie keinen Anteil mehr hatte.
    Als die Gesellschaft sich auflöste, wurde meine Tischdame von einem nicht minder sportlich gebräunten Ehemann abgeholt, der mich mit Nachdruck begrüßte und erwartungsvoll ansah. Ich sagte gar nichts und stellte mich nicht einmal vor. Stand ich überhaupt auf? Mir ist, als sei ich wie ein Sack im Sessel hängengeblieben. Im Weggehen hörte

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