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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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hatte sich schon geradezu zur Heiligkeit gesteigert.
    »Sie hält es für ausgeschlossen, daß Sie ihr verzeihen«, das war so laut in mein Ohr geraunt, daß eine Anwaltsblondine mit frei fallender Mähne und schillerhafter Adlernase sich verwundert umdrehte und mir einen spöttischen Blick zuwarf. Solche Sachen in diesem Rahmen zu besprechen war von einer Unprofessionalität, die das Kindliche streifte. Ich genierte mich überhaupt nicht. Am liebsten hätte ich jetzt mit lauter Stimme »Winnie« in den Saal gerufen. Ich schämte mich nur vor Doktor Glück, dem im Grunde nie ganz für voll Genommenen, im Umgang mit Frauen hoffnungslos Untauglichen. Und jetzt war er der einzige, der dem Bedürfnis nach einer generösen, schutzspendenden Männlichkeit gerecht geworden war. An ihn hatte Winnie sich anlehnen können, ohne daß ihr dafür eine Rechnung präsentiert wurde.
    »Sie ist immer noch wie erstarrt« – Glück war gleichfalls unbeeindruckt von dem befremdenden Blick der Adlernase, »sie ist unzugänglich, verbirgt sich hinter ihrer souveränen Fassade«. Er habe sie heute mitgenommen, um sie zum Umgang mit fremden Leuten zu verführen. Er habe beobachtet, wie ernsthaft und gewandt sie sich einer solchen Aufgabe widme, das lenke sie womöglich etwas ab.
    »Sie ist bis ins Herz getroffen, das war zuviel.«
    Wußte er von der Narbe unter dem schwarzen Körperstrumpf? Glücks Züge sahen zerfallener aus denn je, der Kieshaufen rutschte immer weiter auseinander.
    Die Rede auf den Achtzigjährigen wurde mit gedämpftem Händeklatschen belohnt, es war, als steige ein Taubenschwarm geräuschvoll flügelschlagend in die Lüfte und verteile sich dort. So zügellos huldigend die Ansprache gewesen war, es blieb nicht die letzte. Eine weitere körperlose Stimme hob sich aus dem Schwarz der Menge. Man schien sich an der Rücksichtslosigkeit nicht zu stören, stehenden Menschen längere Reden zu halten, wo doch eine Rede schon im Sitzen kaum zu ertragen ist. Der asketische Achtzigjährige, der an seinem Körper nichts zu tragen hatte, bekam aber offenbar nicht genug davon, und Winnie war so federleicht wie ein Kind und hatte gleichfalls an sich selbst keine Last, es waren die bösen erwachsenen Männer, die ihr eine solche aufluden.
    Wo war sie? Der indianische Kellner stand neben der Flügeltür, als bewache er sie. Ich war plötzlich davon überzeugt, daß dieser Luis oder Pedro oder Juan die ganze Zeit genau wußte, wo sie sich aufhielt, auch ohne sie zu sehen, wie ein Physiker vielleicht, der die Reise eines Stückchens Holz in einem Wasserstrudel zu berechnen imstande ist.
    Und dann sah ich sie wieder, allein am Rand der Menge, dem Anschein nach aufmerksam den Worten der Rede lauschend, die auf englisch gehalten wurde. Es sprach ein amerikanischer Kollege, und Winnie hatte eine konzentrierte Miene und eine gesammelte Spannung, als dürfe sie sich keines der goldenen Worte entgehen lassen – der Amerikaner sprach etwas witziger als der Deutsche, in konventionellem amerikanischen Redner-Humor –, sie lächelte aber kein einziges Mal. Sie fand die Späße weder komisch noch unkomisch, sie nahm sie vielleicht überhaupt nicht als Späße wahr. Ironie lag ihr nicht. Sie verstand sie nie. Sie war einfach zu rein und geradlinig. Aber bei irgendeiner Bemerkung – welcher nur? – riß offenbar ihre Aufmerksamkeit. Etwas anderes schoß ihr wohl durch den Kopf – wie unendlich rührend sah das aus, ihr Gesicht war so offen, es war unfähig, eine ihrer Seelenregungen zu verbergen –, und nun wandte sie den Kopf – bis jetzt hatte ich nur ihr Profil gesehen – und drehte ihn in meine Richtung – spürte sie, daß ich dort stand? Hatte mein Starren ein Band zwischen uns entstehen lassen, an dem ich sie zu mir zog? Gern möchte ich mir das so vorstellen, allzugern möchte ich glauben, daß ich in diesem Augenblick – kein Moment trug den Namen Augenblick mit größerer Berechtigung! – einen Magnetismus auf sie ausübte, der so stark wie ein Anruf war, ja, stärker noch, denn der Befehl, den Kopf mir zuzuwenden, den hatte sie nicht mit den Trommelfellen, den hatte sie in ihrem Innern vernommen.
    Sie sah in meine Richtung, zunächst zerstreut die Menge musternd, ohne die Erwartung, dort jemanden Bekanntes zu entdecken – der Befehl in ihrem Innern war noch nicht ins Bewußtsein gedrungen. Dann fielen ihre Augen in meine Augen und sanken dort tief ein. Ich meinte, ein Eindringen zu spüren, und sie erkannte mich,

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