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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ich die Frau noch sagen: »Du hast mir doch gesagt, der Mann macht Ausstellungen, der Mann ist interessant, der Mann kriegt Geld von euch … Ich kann dir sagen: Der Kerl ist eine stinklangweilige Null!«

Einunddreißigstes Kapitel
    Die Welt schwankt wie eine Hängematte
    Vielleicht liegt der eigentliche Gewinn des Älterwerdens darin, daß frühe Erinnerungsbilder in der Rückschau erst an ihren richtigen Platz rücken. Ihre Bedeutung wird ihnen Jahrzehnte später nachgeliefert. Was ich auf meiner Indien-Reise nach dem Abitur erlebt habe – Indien-Reisen mußten damals sein –, jetzt, nach Winnies Tod und Beate Colisées Sturz in die Dämmerung, glaubte ich es erst wirklich zu verstehen.
    Wenn es stimmt, was die Inder zu wissen meinen, daß Gott die Welt ist und die Welt Gott, dann habe ich Ihn schon einmal gesehen, lange sogar, mehr als anderthalb Stunden, in großer Hitze, in Abendstimmung, rosigem, die Luft mit Verheißung anfüllendem Schein. Ein indisches Morgen- und Abendrot taucht den Tag jedesmal in den Zustand einer Erwartung des Außerordentlichen, und wenn die beißend helle Sonne diese Erwartung auch immer wieder enttäuscht, der Lichtzauber ist stärker. Er bringt die Erwartung zurück: auf etwas Riesengroß-Neues, daß die Welt sich spalte und in Wehen ächze und eine zweite Welt aus sich hervorpresse, weniger kann es gar nicht sein, und so war ich denn richtig eingestimmt auf den Auftritt der Göttin, des Gottes, der Welt als Person.
    Das sandige Gelände am Rand einer größeren Stadt Südindiens, wo die Zersiedelung in Öde überging, die bäuerliche Nutzung schon aufgegeben war und die Spekulanten mit dem Abstecken der Grundstücke begannen, war nun rosa übergossen, die Farben übersetzten sich für mich in einen saugenden Orgelakkord, als werde eine Ziehharmonika sachte immer weiter auseinandergezogen und bringe nie endende Feinstdissonanzen hervor. Götterstatuen aus grell bemaltem Beton waren ins freie Feld gestellt, ein niedriges Mäuerchen umgab das Geviert des zukünftigen Tempels. Die niemals in das Korsett einer Orthodoxie gegossene Religion gebar überfruchtbar immer neue Heiligtümer, neue Gottesepiphanien. Nahe den Müllhalden war heiliges Land entdeckt geworden, und die blau- und weißhäutigen Göttergiganten hatten es sogleich besetzt.
    Aber der Menschenhaufen war von den übergroßen Götterbildern abgewandt und auf ein bewegenderes Bild gerichtet. Die bunten Betongötter hatten Äquivalente aus Fleisch und Blut. Um einen mit glitzerndem Stanniol verkleideten Thron stand ein prunkvoll kostümierter Hofstaat. Dick geschminkte junge Männer, als Frauen göttlicher Herkunft maskiert, als dämonische geflügelte Wächter, als blauhäutige kettengeschmückte Götterknaben gekleidet und schamanisch-phantastisch frisiert, hatten die im Kontrast zur Schminke trüb und unrein wirkenden Augen auf den Thron gerichtet. Dort saß ein als Kali, die schreckenerregende Göttin, die verschlingende und lebenspendende große Mutter, gekleideter Mensch. Mann oder Frau? Wahrscheinlich doch Mann, denn es war ein Riese, ein fetter, mit hängenden Brüsten und mächtigen Schenkeln in den Thron gedrückter unförmiger Riesensäugling. Auf dem Kopf trug er die hohe Götterkrone aus Stanniol, um den Hals ein brustpanzerartiges Collier, gleichfalls aus knittrigem Stanniol. Sein Gesicht war rot geschminkt mit hohen fetten Backen. Die Lippen formten einen Fischmund, aus dem der Speichel blasig blubberte. Die ganze Schauspielerschar mit mager-muskulösen Kinderkörpern, in ihrer Geschminktheit zugerichtet wie zu einem satyriconhaften Fest, gehörte dem Menschengeschlecht an, aber die Göttin eindeutig nicht. Sie war zu groß. Sie überragte alle. Ihre Schenkel waren so dick wie der ganze Körper eines der jungen sie umstehenden Männer mit ihren Perücken und Diademen. Sie schwankte in ihrem Thron, einem hohen Friseursessel, der unter der Goldpapierdekoration hervorsah. Es gelang ihr kaum, die Augen offenzuhalten, obwohl sie es versuchte. Sie murmelte vor sich hin. Sie warf den hochgekrönten Kopf hin und her wie in tiefem Traum auf dem Kopfkissen. Die Wächter mit Schnurrbärten und Flügeln paradierten vor ihr mit Schwertern und Spießen. Sie alle hier waren Diener der Gottheit, blickten aber zugleich auch auf sie wie auf einen dicken Haufen Unglück, auf einen gestrandeten Walfisch, einen verendenden Elephanten, der sich nicht mehr erheben, mit einem ungezielten Tritt aber immer noch verwunden kann.
    Ein

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