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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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weit von der Welt ihrer Herkunft entfernt, daß es sich erübrigte, beständig in Verwunderung auszubrechen. Ich sah sie staunend an: Waren diese Stirn, diese ausgeprägte steinharte Stirn, diese Marmorweiße, dieser strenge Mund nicht sämtlich im Werk ihres Großonkels wiederzufinden? Waren seine Stilisierungen, seine Masken am Ende nur Familienreminiszenzen? Es war ihr peinlich, daß ich sie so anstarrte. Aber dem Mestrovic-Katalog ließ sie doch eine Vorzugsbehandlung angedeihen. Er wurde nicht irgendwo unter das Bett gestopft, sondern prangte bei meiner Rückkehr einsam auf der blanken Schreibtischplatte.

Fünftes Kapitel
    Ein Arbeitsessen
    »Ich glaube nicht an die Wirkung von großen Exposés«, sagte Wereschnikow zu seiner Geliebten – »Du bist meine Geliebte«, rief er oft im Ton leidenschaftlicher Aufrichtigkeit. Maruscha hörte es mit feinem Lächeln. Solche kalten Worte wie Freundin, womöglich gar Partnerin lehnte er ab. Als sei ein Paar eine Firma, wie abstoßend und unmenschlich! Maruscha sparte sich einen Kommentar. Es gab so viele Möglichkeiten, sich mit einem Mann zu verbinden; die Geliebte war gewiß die anstrengendste. Die Partnerschaft, die echte regelrechte Geschäftsbeziehung, stellte sie sich hingegen sehr interessant vor, anstrebenswert auf jeden Fall, aber nicht leicht zu erlangen. Viele der reizvollen Männer, die sie kannte – sie entdeckte tatsächlich in den meisten Männern, ohne deswegen wahllos zu sein, die reizvolle Seite –, waren zu gefühlvoll und wurden regelrecht ein bißchen verrückt, wenn man sie näher kennenlernte, daß so etwas wie eine anständig gewinnbringende Partnerschaft, ein freundschaftliches, erotische Ausflüge nicht ausschließendes Verhältnis, das auf gezieltem Zusammenarbeiten beruhte, sich einfach nicht einstellen wollte. Sie mochte Sascha Wereschnikow am allerliebsten, wenn er ihr von seinen Geschäften erzählte, etwa von seiner Skepsis großen Exposés gegenüber, die sie allein schon deswegen teilte, weil sie »große Exposés«, zu welchem Vorhaben auch immer, nie und nimmer hätte abfassen können. Es war beruhigend, daß Wereschnikow, den sie aufrichtig bewunderte – ein bedeutender Kopf, ein großer Geist ohne Zweifel, nur leider zu emotional, mißtrauisch, herumbrüllend aus geringstem Anlaß, sehr schwer zu handhaben kurzum –, so gering von Exposés dachte.
    »Exposés kann jeder schreiben«, das war eine wunderbare Formel für die Tatsache, daß man selbst ein Exposé auch dann nicht hinbekam, wenn man es ernsthaft versuchte. Was zählte, war allein der persönliche Eindruck, das Gegenübersitzen. Das leuchtete Maruscha unbedingt ein. Für sich war sie da ohnehin überzeugt, aber auch Sascha Wereschnikow, diese Erscheinung von einem Mann, das prachtvolle Haupt, die großangelegte Stirn, der schwer werdende Körper, das aristokratische Profil, das alles mußte ja den vernünftigen Menschen genauso für ihn gewinnen, wie es sie einnahm – wenn er nur nicht im Zorn so schnell so laut geworden wäre. Das kühlte sie immer gleich ein wenig ab, und anderen Leuten ging das vielleicht ähnlich. Maruscha hatte die feste Überzeugung, wie alle Menschen zu fühlen, sich mit beinahe jedem vernünftigen Menschen im Konsensus zu befinden und deshalb in einer köstlich überschaubaren und berechenbaren Welt zu leben. Mit geradezu mütterlicher Nachsicht lauschte sie Wereschnikows Klagen über die Aktivitäten, die an die Stelle der verabscheuten Exposés zu treten hatten. Sie schienen ihm, glaubte man seinen Worten, noch schwerer zu fallen. Ach, diese Verabredungen, ach, diese Mittagessen, ach, diese Restaurants! Ach, dies Belagern von stumpfsinnigen Verwaltern riesiger Summen, die ungenutzt auf so vielen Konten dämmerten, anstatt einzufließen in eines von Wereschnikows großen Projekten! Ach, diese ewige Überzeugungsarbeit, die da zu leisten war! Mein Gott, das »Würde«-Projekt, die »Menschenwürde im Blick der Balkankultur«, das war doch nun wirklich ein brandheißer Stoff – was Besseres konnte er in solchen Zeiten anbieten? Die Zeitungen, die Politiker, das Fernsehen unterrichteten über die Verschärfung der Feindseligkeiten, der Balkan war wieder einmal ein Pulverfaß. Da kam eine Tagung mit internationaler Beteiligung – der Al-Azhar-Universität, des Vatikans, des Moskauer Patriarchats, der bedeutendsten Anthropologen der Harvard-Universität, der Sorbonne, Oxfords und Berlins – doch letztlich wie gerufen, das mußte

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