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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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nicht, wenn sie es waren, die um die Rechnung baten. Diese Rechnung wanderte in die Buchhaltung. Diese Leute bekamen die Buchungsvorgänge gar nicht mit, honorierten es demgemäß auch nicht, wenn sie eingeladen wurden. Sie waren im ungerechten Treiben der Welt ohnehin immer und grundsätzlich die Eingeladenen – widerlich.
    Sascha, sprach die innere Stimme, noch einmal, hör auf, dich über diese Selbstverständlichkeiten zu erregen. Du bekommst das Geld nur, wenn der Mann dich als seinesgleichen erkennt. Du bekommst es nur, wenn er überzeugt ist, daß du es nicht nötig hast. Menschen, die Geld nötig haben, bekommen kein Geld, das ist ein Gesetz. Es ist so alt wie die Welt. Und du, Sascha, würdest es solchen, die es nötig hätten, ja auch nicht geben – »weil ich das auch gar nicht kann!«.
    Der kurze Augenblick gelassener Wahrheit wurde sofort von der Angst beiseite gewischt. »Manchmal sagt Maruscha, ich würde verrückt«, dachte er unwillkürlich. Das war seine besondere Gabe, solche Miniaturerleuchtungen, blitzartige Einsichten, als hebe ein Dämon ihn aus sich selbst heraus und gestatte ihm, sich von außen zu betrachten, aber wie alle Dämonengeschenke unfruchtbar, jedenfalls ohne ihn mit den Mitteln auszurüsten, sich zu korrigieren.
    Das Restaurant war neuen Typs, leicht frostig, technisch-italienisch, aber es herrschte ein appetitlicher Duft, aus der Küche roch es nach frischer Butter. Der Mann saß schon da und las die Zeitung; aufgeräumt begrüßte er Wereschnikow. Der erkannte an seinem Gegenüber, den er zum ersten Mal sah, sofort das Geld. Diese Art müheloser Gepflegtheit, solch dickes graues Haar, halblang, über den Ohren zu Taubenflügeln ausschwingend, wie es in der englischen Friseursprache hieß, diese Nadelstreifen, die sich über die Nähte hinweg stoffverschwendend fortsetzten; Wereschnikow hatte gelernt, auf die Revers solcher Anzüge zu achten: Setzten sich die Nadelstreifen über die Nähte hinweg fort? Das hatte ihm sein Onkel beigebracht – »im Grunde ein Oberkellnerblick«, dachte Wereschnikow im Wahrheitsrausch –, die feine goldene Brille, das etwas verwöhnte, immer noch jugendliche Public-School-Boy-Gesicht, die gute Laune der grundsätzlich Sorglosen – das alles war nicht zu haben ohne lässigen, längst Gewohnheit gewordenen Umgang mit hohen Summen. Er versuchte weise, hier nicht zu konkurrieren. Er gab den Geistesmenschen, der nur mit Mühe aus der Bibliothek zu locken ist. Die dicke Tweedjacke, die Cordhose sprachen von der Bequemlichkeit, die der uneitle Denker sich gestatten darf, so machten Leute das, die sich ihrer Rolle sicher waren. Philosophen trugen Tweed, auch wenn sie rings von Smokings umgeben waren.
    Der Mann war aufgeräumt und vergnügt. Er freue sich, Wereschnikow kennenzulernen, aber jetzt wollten sie doch erst einmal schauen, was es zu essen gebe. Er übernahm ganz deutlich die Initiative, hätte ja auch sagen können, daß er keinen Hunger habe und einen Salat bestelle, aber nein, er wollte essen.
    Der Geschäftsführer kannte den Mann. Er brachte die Speisekarten, riet hurtig und in gelegentlich schwer verständlichem Deutsch aber ab, in sie hineinzuschauen.
    »Mach isch Ihnen was kleines Besonderes«, das klang nach gutem Zureden, aber der elegante Mann war schon überzeugt. Er ließ sich eben wirklich gern verwöhnen, massieren, streicheln und ein köstliches Essen vorsetzen, ohne sich darüber den Kopf zerbrochen zu haben.
    »Mach isch Ihnen ein ganz bißchen«, sagte der Geschäftsführer, der die Anstellerei seiner wohlhabenden Klientel kannte, wenn es ums Essen ging, den unablässig geführten Kampf um jedes Gramm – da hatte der Mann aber offenbar gar keine Schwierigkeit, er war gertenschlank und freute sich dennoch aufs Essen. Auch Wereschnikow war unversehens von Hunger gepeinigt. Ein Schwert wühlte in seinem Bauch. Waren das die angenehmen Gerüche aus der Küche, die ihn aufweckten? Eben noch hatte die Aufregung ihm den Appetit verschlagen, jetzt wartete er beinahe gierig auf den ersten Teller. Der Geschäftsführer nahm die Hände zu Hilfe, um seinen Gästen einen Begriff zu geben, wie die Speisen ganz fein geschnitten, ganz fein portioniert, ganz winzig bemessen würden. Er hackte auf der ausgestreckten Hand und sprach dazu, daß Wereschnikow das Wasser im Munde zusammenlief: eine ganz kleine Portion Stör-Carpaccio, ein Häufchen Trüffel-Fettuccine, kaum mehr als in ein Kinderfäustchen ging, ein daumennagelgroßes Stück

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