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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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schließlich dem Dümmsten einleuchten. Aber wenn man den einen Sponsor ansprach, verwies der auf einen anderen. Die Unesco wollte nicht ohne die Bundesregierung, die Bundesregierung nicht ohne Brüssel, es war zum Verrücktwerden. Dies alles als eindringliche Tirade über einem Joghurtbecher am Küchentisch – Maruscha sorgte dafür, daß an Tagen, wenn Sascha zu Mittag aß, das Frühstück mager ausfiel, obwohl ihr die Fülle unter seinem Pullover nicht schlecht gefiel, aber eine gewisse liebevolle Überwachung gehörte zu ihren arglos angewandten Methoden, Vertrauen zu erzeugen: Konnte ein Mann eine Frau der Untreue verdächtigen, wenn sie darüber wachte, daß er sich nicht vollstopfte? Sie mußte sich um ihn nicht zu viele Sorgen machen. Ganz ohne Exposé zog einer wie er seiner Verabredung nicht entgegen. Drei schöne, großzügig gesetzte Seiten voller amerikanischer Fachausdrücke schlummerten in seinem elegant abgegriffenen Portefeuille, und zum Essen zog er, wie sie wußte, diese nicht gar so ungern hervor, vor allem wenn er eingeladen war.
    Nein, im Grunde ausschließlich, wenn er eingeladen war. Die Vorstellung, selbst für ein Essen zu bezahlen, womöglich noch jemanden einladen zu müssen, war ihm, selbst wenn dieser Jemand Maruscha war, unangenehm bis zur Widerwärtigkeit. Man erinnert sich, daß auch Frau Markies ungern mit barem Geld herausrückte, aber wie anders war ihre seelische Disposition! Sie empfand Geldforderungen als Einschränkung ihrer Herrschermacht, als dreistes Tributbegehren, letztlich als Vorbereitung zum Aufstand; bei Wereschnikow hingegen wurzelte der Geiz in der Lebensangst. Maruscha war das längst selbstverständlich; sie nahm ihm das Geld, das sie von ihm haben wollte – nie besonders viel, sie war maßvoll und bürdete keinem Mann mehr auf, als er leisten konnte –, unmittelbar und in blitzartigem Überfall ab, einfach die Brieftasche aus der Jacke ziehend, alle darin liegenden Scheine ratsch-ratsch an sich nehmend, die Tasche geschickt und sanft zurückgleiten lassend und ihm dabei ein bißchen die Brust kraulend: Das tat sehr weh, wie eine Spritze oder ein Schnitt, aber es war unvermeidlich und ging schnell vorbei; so konnte er mit solchen Aderlässen leben, sie sogar bald wieder vergessen und die Beunruhigung, die von ihnen ausging, betäuben. Dafür brauchte er Maruscha auch nicht groß auszuführen, das mußten dann andere besorgen und taten es ja auch.
    Heute durfte Wereschnikow heiter sein unter der geschäftsmäßigen Sorgenmiene, mit der er das Haus verließ. Heute war er definitiv eingeladen – hatte er den Mann nicht so verstanden, besser, verstehen müssen? Das hatte anders ja gar keine Raison. Ein solcher Mann, Herr über Millionen, ach was, über Hunderte, über Milliarden, über vielfache Multimilliarden genaugenommen, der verabredete sich doch nicht in einem Restaurant seiner Wahl, wenn er dazu nicht ganz selbstverständlich einlud? Eine leise innere Stimme warnte ihn: Vorsicht, flüsterte sie, du beschäftigst dich mit dem falschen Thema. Du willst von dem Mann dreihunderttausend Mark, nicht unmittelbar von ihm, aber von seiner Stiftung. Du brauchst seine Fürsprache, du mußt überzeugend wirken! Du mußt diesen Mann, der schwer genug zu fassen ist, geistig jetzt auf den Balkan führen. Du mußt ihn tief in den gegenwärtigen Konflikt eintauchen, die Gefahr spürbar machen, als brenne in nächster Nähe eine scharfe Stichflamme, die schon die Augenbrauen versengt. Die Notwendigkeit beschwören, »etwas zu tun«, die Begünstigung des Projekts durch die Großen, die ganz Großen der Erde eindringlich darstellen, die Chance, die sich für den Mann ergibt, Boutros Ghali einen persönlichen Gefallen zu tun – eine solche Chance fand sich nicht jeden Tag, wer Boutros Ghali einen Gefallen tun durfte, war ein Glückskind, ein von Fortuna Beschenkter – auf all dies Zeug mußte er sich jetzt konzentrieren. Er mußte magisch-hypnotisch sein. Maruscha bestätigte ihm oft und gern, daß er eine besondere Gabe habe, »magisch und hypnotisch« zu sein – und deshalb mußte die bohrende Frage, wer von ihnen beiden im Restaurant einladen würde, heraus aus seinem Kopf – weg damit – das war jetzt wirklich gleichgültig.
    Gleichgültig? Das war das falsche Wort. Schon durchzuckte es ihn wieder. Bei solchen mit Millionen jonglierenden Leuten war es tatsächlich von einer unfaßbaren Gleichgültigkeit, wer das Essen bezahlte. Sie zahlten es selbst dann

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