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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Kunst, die insgesamt etwas von der Atmosphäre gravitätischer Herrenzimmer mit monströs großen Onyx-Aschenbechern, Refektoriumstischen und Stehlampen aus Kirchenleuchtern ausstrahlte. Das sind ungerechte Worte, ich weiß. Jede abservierte Mode, und sei sie einst noch so mondän gewesen, nimmt etwas Muffiges an. Die Sachen müssen ziemlich alt werden, damit der Zeitgeschmack, der sie umhüllt hat, austrocknet und von ihnen abfällt, und dazu war Mestrovics Werk noch nicht weit genug zurückgesunken in die Vergangenheit.
    Welche Folgen der kleinste Entschluß ins Rollen bringen kann, davon legte der kommende Vormittag Zeugnis ab. Zu meiner Entscheidungsunfähigkeit gehörte auch die Unlust, die Wohnung aufzuräumen, weil da ständig hätte entschieden werden müssen, wohin mit den aufgehäuften Büchern und Papieren, den Notizen und aufgeschlagenen Bildbänden. Um den Mestrovic-Katalog zu studieren, hätte ich Stapel von Gedrucktem vom Schreibtisch schieben müssen. Ich tat es nicht und blätterte den dicken Band auf dem Schoß durch. Es war inzwischen längst unmöglich geworden zu putzen, man fand ja kaum einen Weg durch die Zimmer. Gelegentlich machte eine Freundin den Vorschlag, mir beim Aufräumen zu helfen, aber ich lehnte das immer ab. Es war mir peinlich, und die Vorstellung, mich von anderen beim Ringen um die Entscheidung, wohin dieses und jenes Buch gehörte, beobachten zu lassen, war auch nicht angenehm.
    Ein englischer Dandy, transvestitisches Mitglied der Warhol-Factory, hat erklärt, wenn man konsequent nicht putze und nicht aufräume, nähmen nach vier Monaten der Dreck und die Unordnung nicht mehr zu. Ich kann das bestätigen, aber ich habe nicht dasselbe gelassene Einverständnis mit dem Dreck wie dieser Mann. Es kam der Augenblick, daß ich unter dem Zustand meiner Räume litt.
    Ein Freund von Rotzoff aus der Merzinger-Runde kam nachts, als Merzinger schloß, noch zu einem letzten Glas zu mir herauf. Er hatte, wie stets, seinen Rauhhaardackel dabei, der das unregelmäßige Leben seines Herrn klaglos teilte und sich nach Sonnenuntergang ein stilles dunkles Plätzchen zum Dahindämmern suchte, meist unter einem Wirtshaustisch, bei mir jetzt unterm Sopha. Als der Kerl wankend aufbrach, zerrte er seinen Dackel darunter hervor. Der Hund hatte einen großen Nikolausbart aus Wollmäusen und Staubflusen. Mir ist unvergeßlich, wie er versuchte, niesend diesen in der Nase kitzelnden Bart wieder loszuwerden. Die Fensterscheiben waren blind, das frühe Sonnenlicht verschönte die Zimmer nicht mehr. Selbst das Morgenrot konnte die Garstigkeit nicht schminken.
    An der jungen Frau, die das Treppenhaus putzte, war ich bisher, allenfalls flüchtig grüßend, vorbeigegangen. Ich hörte sie ausatmen, wenn sie sich aufrichtete, um mich passieren zu lassen, aber ihr Gesicht war schon in meinem Rücken, wenn sie antwortete. Nur ihren Geruch hatte ich bald in der Nase. Schon wenn ich ins Haus kam auf dem steinkühlen Vorplatz mit seinem Metzgermarmor und den abgetretenen Fliesen, stand, auch wenn sie zwei Stockwerke höher putzte, ihr eigentümlicher Dunst im Raum. Kein übler Schweiß war darin, und wenn ich von Kuh- oder Pferdestall rede, entstehen auch die falschen Assoziationen. Es war ein gesunder, gar reinlich-kindlicher Geruch, eine frische Dumpfheit, so widersprüchlich das klingt, aber eben zugleich sehr persönlich-unverwechselbar. Im nachhinein verstand ich, daß dieser Geruch, der für die junge Frau so bezeichnend, so wesentlich war, nichts anderes als die Ausdehnung ihrer Persönlichkeit bedeutete, die über die von ihrer Haut gesetzten Grenzen hinausging. Wo sie anwesend war, war sie bis zum letzten Winkel anwesend.
    Sie anzusprechen war kein Vorsatz, sonst wäre es gar nicht dazu gekommen. Sie stand zwei Stufen unter mir, neben sich den Putzeimer, in der Hand den Lumpen, mit dem sie die Stufen trockenwischte. Genauso stand, schoß mir durch den Kopf, David mit der Hirtenschleuder vor dem Riesen Goliath. Als erstes fiel mir die Weiße ihrer Haut auf, die große, beinahe ein wenig gewölbte Stirn, eine Stirnplatte regelrecht, ein widdermäßiger Rammbock. Eine Schrift hätte darauf prangen können. Darunter schwarz blitzende Augen, beinahe stechend, zornig wirkend vor lauter Tätigkeitswillen und Nachvorndrängen, ein grundsätzlicher Lebenszorn, nicht auf ein bestimmtes Gegenüber bezogen. Die Nase sprang ohne Sattel aus der Stirn, gerade und nicht klein, am Ende ein wenig kugelig verdickt, keine

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