Das Blutbuchenfest
Hingabe an seine Knetungen gehörte, ja, diese Selbstauslieferung im Grund das Vorzeichen war, das vor allem anderen stand und ihm Sinn verlieh. Nirgendwo sonst ließ sich so gut planen, was heute noch zu tun sei, nicht in Gestalt lautlosen Erwägens nebenbei, der Masseur durfte alle ihre Gedankenschritte mitvollziehen und unterbrach nur gelegentlich mit der strengen, auch bekümmerten Mahnung, sie dürfe bei all dem aber nicht vergessen, auch an sich zu denken.
Heute etwa stand Ivanas Eintreffen bevor. Es war ein besonderer Tag, denn Ivana würde erst spät wieder ins Büro hinaufgehen dürfen. Zuerst kam ausnahmsweise die Wohnung an die Reihe, weil die Frau, die dort eingearbeitet war, im Krankenhaus lag, zum zweiten Mal in einem halben Jahr. Frau Breegen hatte Blumen geschickt, empfand nun aber auch eine gewisse Ungeduld – »Wir müssen ja weiterkommen«, sagte sie zu sich, und der Masseur begrüßte diese Einsicht, auch er hatte tagaus, tagein nichts anderes im Sinn als weiterzukommen. Ivana war, das wußte Frau Breegen, für die ihr heute zugedachte Arbeit an sich ungeeignet, zu fahrig, zu heftig, zu wenig detailverliebt, es mußte eben ausnahmsweise einmal mit ihr gehen, sie würde sich eben einmal bequemen müssen, nicht nur mit dem Staubsauger herumzufuhrwerken. Der große Kronleuchter im Eßzimmer wartete auf seine halbjährliche Reinigung. Alle Prismen – mindestens zweihundertfünfzig, vielleicht auch mehr – mußten abgenommen, sorgfältig gespült und getrocknet und wieder aufgehängt werden – eine Mischung aus Aschenputtelarbeit und Weihnachtsbaumschmücken war das, mühsam, aber eine Tätigkeit, die man auch lieben konnte, und das Ergebnis, wenn die Kristalle scharf-blendend funkelten wie ein Laden voller Swarovski-Nippes, war überwältigend, in Frau Breegens Augen jedenfalls. Das, genau das würde Ivana unter ihrer Aufsicht heute zu leisten haben. Ein kontrollierender Blick war hier Bedingung, sonst hingen die Prismen nachher kreuz und quer. Sie verfiel in Schweigen, eine kontemplative Pause, in der sie die bevorstehende Situation im Eßzimmer deutlich vor sich sah: die Schüssel mit warmem Seifenwasser auf der dicken Glasplatte des Eßtischs, die Klappleiter, Ivana darauf und wie eine Obstpflückerin die glitzernden Früchte aus dem Messinggestell lösend. Hätte Frau Breegen sich umgesehen – was gar nicht möglich war, sie hätte den Hals nie so weit drehen können, trotz Massage war um den Nacken herum schon alles ziemlich festgebacken –, hätte sie Zeugin sein dürfen, daß auch der Masseur sich während ihres Schweigens einen versunkenen Augenblick gönnte. Er blickte zur Zimmerdecke, eigentlich aber wohl doch zum Himmel. Es war, als trete er da in einen stummen Austausch, setze sich blitzschnell in eine andere Beziehung, einen anderen Zusammenhang, der ihn weit weg aus dem Massageraum im Keller der Breegenschen Villa führte. Freiheit gibt es auch in Ketten – hätte der Masseur diesem Wort zugestimmt?
Das stille Nachdenken öffnete in Frau Breegen das Tor der Erinnerung. Zuviel an Ivana zu denken schuf Beunruhigung. Sie war eine gutherzige Frau. Sie verlangte viel von ihren Angestellten, bezahlte sie aber großzügig und befand sich nicht im geringsten emotionalen Abstand von ihnen. Das Oben und Unten war allein durch das Dienstverhältnis definiert: Wer bezahlte, schaffte an, aber dies Verhältnis ruhte auf einem Sockel grundsätzlicher Gleichheit, und daß es sich verkehren konnte, hatte Frau Breegen schockhaft genug erfahren, ohne deshalb gleich in Ivanas Position einrücken zu müssen. Sie nahm deshalb Ivana den Auftritt vor dem Ball des Sports nicht übel. Sie sah darin nicht etwa eine Respektsverletzung. Sie fand nichts dabei, mit ihrer Putzfrau von gleich zu gleich zu zanken, aber es steckte ihr in den Gliedern, mit welcher Wut Ivana gezischt hatte, und es trat ihr, auch nachdem die Aufregungen um den Ball verflogen waren, wieder deutlicher vor Augen, wie seltsam solidarisch gegenüber Ivana sich Herr Breegen betragen hatte. Das war durch ihre Überzeugung, er habe das Recht, in seiner Gegenwart Wortwechsel zwischen Frauen rabiat zu unterbinden, zunächst verdeckt worden. Ein Raum des Ungeklärten tat sich unvermittelt auf: Sie fand keinen Trittstein für ihre Gedanken, um sich in ihm umzutun.
Wie eng Herr und Frau Breegen verbunden waren, zeigte sich auch daran, daß sie unabhängig voneinander dasselbe erwogen. Frau Breegen tastend, wie es bei ihrem
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