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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Schildkröte
    Die peinigende Gewißheit, etwas sehr Böses getan zu haben, ist, glaube ich, nur entstanden, weil die Begleitumstände dieser Tat überwältigend schön gewesen sind. Mestrovic hat mich um die Welt geführt. In Shanghai gab es ein Museum, dessen Kurator Andeutungen machte, an der Ausstellung interessiert zu sein – nicht weiter verblüffend, mein Meister paßte mühelos in die offizielle chinesische Kunstauffassung, viel eher als hierher, Überzeugungsarbeit war da gar nicht zu leisten, aber das Netz der politischen Vorbehalte und der politischen Nebenabsichten, das es zu knüpfen galt, war für mich viel zu kunstvoll. Ich hätte einen erfahrenen China-Diplomaten an meiner Seite haben müssen, um auch nur zu verstehen, was man eigentlich von mir erwartete. Ich nahm wörtlich, was ich nur in übertragenem Sinn hätte verstehen dürfen, und empfand als höfliche Floskel, wohinter sich ernste Absicht verbarg. Ich scheiterte vollständig, ohne es zu merken. Allen Ernstes war ich davon überzeugt, die Zusage der Chinesen – hohe Versicherungsprämien eingeschlossen! – zu einer großen Ausstellung, größer als in Europa, in der Tasche zu haben, als diese Tasche nicht nur leer war, sondern auch ein Loch hatte, durch das mein Geld rann. Aber das führt zu weit: Nur dies Hochgefühl ist von Bedeutung, denn es gehört in die Mischung der Empfindungen des bewußten Tages hinein.
    Ich war erfolgreich, ich war am Ziel, ich durfte mich belohnen. Diese Belohnung nach den anstrengenden Tagen in einem hadesdüsteren, von üblen Dämpfen verhangenen Shanghai, in dem der Huang-Ho wie ein Abwasserkanal voll Quecksilber blinkte, sollte in einem Besuch der Dichtergärten von Suzhou bestehen. Eine liebenswürdige Dame vom Museum würde mich begleiten. Keiner davon hatte die Kulturrevolution zwar unbeschädigt überstanden, alle waren Rekonstruktionen, die Pavillons in diesen Gärten glichen sich deshalb wie ein Ei dem anderen, ein Kenner hätte vermutlich viele Schwächen festgestellt, mit Gewißheit sogar: denn hier hatte sich einst ein Geschmack manifestiert, der sich auf Kostbarkeiten ebenso wie auf die feinste, zerbrechlichste Flüchtigkeit erstreckte.
    Diese Gärten waren nicht groß. Die Pavillons in ihnen schoben sich zusammen, als sollten sie kleine Dörfer bilden, und es gab keinen Blick aus einem Fenster, von einer Brücke, einem überdachten offenen Wandelgang, einer Terrasse, der nicht geplant war und sich nicht auf irgendein bedeutendes, den Gebildeten selbstverständlich bekanntes Gemälde bezog. Grotesk verformte Felsen erinnerten an Buchstaben, aber eigentlich war ein ganzer solcher Garten lesbar, eine Schriftrolle, die sich im Weiterschreiten aufwickelte, und er verlangte nach einem Betrachter, der diese Zeichen zu lesen verstand und sich mit Einfühlung einstimmen ließ: der beim Blick auf Bambushalme vor einer weißen Mauer melancholisch wurde, bei roten Goldfischrücken nachdenklich, angesichts eines unter dem Gewicht eines Vogels zitternden Zweigs heiter. Die Seele eines würdigen Gartenbetrachters hatte erzogenerweise eine Klaviatur zu sein, auf der der Garten, während man in ihm verweilte, seine Musik spielte. Und obwohl ich hier als analphabetischer Barbar auftrat, begriff ich das und ließ mich ergreifen und verzaubern – wahrscheinlich mit den falschen, mit unangemessenen Gefühlen. Das individualistische Gefühl, auf das wir so stolz sind, besaß hier kein Recht. Man hatte zu fühlen, was man fühlen sollte – aber immerhin, ich fühlte und wandelte durch die hölzernen Hallen, über die künstlichen Hügel, durch Innenhöfe und mondförmige Tore erhoben und beglückt. Die höfliche Dame begleitete mich schweigend und wies mich nur manchmal auf ein Detail hin, etwa: »Dieser Steinhaufen war von den Arbeitern absichtslos aufgetürmt worden und sollte abtransportiert werden, aber dann entschied der Dichter, daß er so liegenbleiben müsse.« Ich meinte, daß es für mich jetzt nur noch um ein wenig Lektüre, ein wenig Information gehe, dann würde ich mich wie ein Eingeweihter in diesen Gärten bewegen. Ich sah das Leben dieser Dichter, die zugleich hohe Beamte waren, vor mir: In diesen Pavillons dem Regen lauschend, ihre Frauen in deren Pavillons besuchend, seltene, kunstvoll bereitete Speisen essend, und, während deren Geschmack auf der Zunge lag, zugleich den Blick aus dem Fenster wie ein gerahmtes Bild genießend. Außerhalb dieser Gärten war Suzhou eine häßliche, neugebaute

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