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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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damit hatte sie für Tomislaw jedes Interesse verloren. Wer sich von seinen eindringlichen Vorschlägen nicht verführen ließ, besaß zu wenig erotische Substanz. Deswegen war Rotzoffs Warnung, mit knurrendem Unterton ausgesprochen, ganz überflüssig.
    »Wenn du die Finger nicht von ihr läßt, pulverisiere ich dir die Bonbons.« Tomislaw war durch die Aufdeckung seiner von nächtlichem Triebschub veranlaßten Verräterei nicht in Verlegenheit zu bringen. Eine goldene Lebensregel, die er sogar aussprach – was ihn förderte, konnte auch anderen dienstbar sein –, blieb ihm Gesetz: »Entschuldige dich niemals, für nichts, bei niemandem.« Und deshalb konnte er Rotzoff jetzt mit reinem, übermütigem Strahlen in die Augen sehen. Nur war Rotzoff der letzte, der für Charme-Offensiven anfällig gewesen wäre. Es drohte eine Stagnation der Unterhaltung. Da war es passend, daß ich zur Stelle war. Rotzoff konnte sich mir zuwenden und ein Gespräch über den Kopf seines dreisten Protégés hinweg beginnen. Das war auch sonst seine Art, nicht nur wenn es jemanden zu bestrafen galt.
    Ich war ein anderer geworden, nicht mehr der, den man hier kannte. Ich sah mich inzwischen mit Winnie irgendwie im Bunde, seitdem sie auf meinem Bett gesessen hatte, und seitdem ich die Narbe, aber eben nicht nur die Narbe betrachten durfte. Nichts Greifbares war zwischen uns vorgefallen. Ich meinte, ihren kühlen, trockenen Abschiedskuß immer noch auf meinen Wangen zu spüren, aber darauf hätte ich sie nicht festlegen dürfen. Die Elfe, die Libelle, das Kind, mit solchen Namen dachte ich an sie. Gewiß, sie war unbestreitbar eine Frau, aber zugleich doch ein fundamental anderes Lebewesen, von anderem Planeten stammend, aus Sternenstaub gebildet, als die Frauen, von denen im Gespräch zwischen Tomislaw und Rotzoff die Rede war. Wie war die Welt doch eingerichtet, wenn die großen Begriffe wie Mann und Frau eigentlich gar nichts besagten, weil es Ausprägungen des Weiblichen gab, die allem widersprachen, was solche Herren, deren gesamte Existenz auf das unablässige Verzehren von Frauenfleisch ausgerichtet war, für Frauen hielten. Und gerade darin lag jetzt ein Kitzel für mich, daß ich es mir nur recht klarmache. Ich empfand einen geheimen Triumph, mir hier zynisch-verächtliche Reden über die Frauen anzuhören, und dabei zu wissen, daß es inzwischen in meiner nächsten Nähe eine Frau gab, die für diese beiden gänzlich unerreichbar wäre.
    Gerade das Fehlen jeder Prüderie bildete Winnies unsichtbaren Schutzpanzer, der sie vor dem Zugriff plump-erfahrener Sinnlichkeit bewahrte. Rotzoffs schnarrende Anzüglichkeiten mußten an ihr abgleiten, da verband sich nichts, das waren zwei Fremdheiten, die da aufeinanderstießen. Aber reizvoll war es doch, in der Erwartung, mir im Unausgesprochenen-Unaussprechlichen köstlich neuartige Regionen zu erobern, hier bei den Männern Männlichkeit durchs bloße Dabeisitzen zu beweisen. Unkeusche Geschwisterlichkeit schwebte mir vor, wenn ich an Winnie dachte. Sie ergänzte mich, sie war das, was mir fehlte. Sie war so schwerelos, daß ich mir vorstellen konnte, mit ihr wirklich zu einem einzigen Leib und einer einzigen Seele zu verschmelzen.
    Tomislaw durchbrach die Abwendung Rotzoffs durch die Erörterung seiner Ars amandi, seines Kamasutra, wie er selbst es sich erarbeitet hatte. Niemals versäume er, bevor er zu einem Rendezvous aufbreche, kurz vorher Hand an sich zu legen und den Überdruck wegzuspritzen – andernfalls gelinge ihm »die gnadenlose Ausdauer« nicht, so sein Ausdruck, die eine Voraussetzung der »bedingungslosen Kapitulation der Frau« sei, und um nichts anderes sei es ihm zu tun. Dies alles war sehr ernst, geradezu ein wenig leidend gesprochen, aber etwas Ingenieurshaftes lag auch darin. Ich staunte, zu welchen Gedanken dieser Knabe fähig war, denen wohl auch Taten entsprachen, dazu waren seine faunischen Darlegungen zuwenig prahlend vorgetragen. Rotzoff nickte schief lächelnd dazu. Es gefiel ihm, und es gefiel ihm nicht, was sein Schützling vortrug, der eigene Vorsprung an Praxis und Einsicht schrumpfte ihm wohl zu schnell.
    »Und dabei liegt er nicht nur im Bett, er verfaßt auch jeden Tag einen Zyklus ungenießbarer Gedichte, und zum Schnorren ist auch noch Zeit«, das war in Rotzoffs Stil, der gern über Anwesende Hintergrund-Informationen gab, noch geradezu freundlich gesprochen.
    »Ich schreibe soeben ein Sonett über die Schönheit abgeschlagener Flaschenhälse auf

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