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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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»daher sein Reichtum. Davon könntet ihr Balkangelichter euch ruhig was abgucken.«
    Tomislaw betrachtete Wildfleck neugierig. Er hatte etwas grundsätzlich Unvoreingenommenes. Jeder Mensch konnte sein Opfer werden. Warum nicht auch dieser? Sogleich hob er die Unterhaltung auf eine höhere Ebene. Dostojewski habe die Erbärmlichkeit des deutschen Charakters gerade an dieser Arbeitswut festgemacht.
    »Arbeit ist Last und Mühsal. Der Mensch soll die Arbeit hassen. Wenn er dennoch zur Arbeit gezwungen wird, soll er seine Würde dadurch behaupten, daß er langsam, widerwillig und schlecht arbeitet.« Der Dichter schildere mit staunendem Ekel ein deutsches Dienstmädchen, das vierzehn Stunden am Tag mit Lächeln und Heiterkeit arbeite – daran erkenne man die Würdelosigkeit der Deutschen. Ich dachte sofort an Wereschnikow und seinen Kongreß – wäre hier nicht ein glänzender Referent gefunden? Rotzoff blieb gereizt. Man möge ihm nicht mit Dostojewski kommen. Die jungen Leute hatten sich in seiner Gegenwart nicht mit Pfauenfedern aus Dostojewski-Zitaten zu brüsten.
    »Arbeitsscheuer Balkanstrolch – du gehörst als Asozialer in Titos Ferienlager, mit der Spitzhacke Steine zerkleinern.« Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten im Umgang mit Rotzoff, daß niemand von solchen Anwürfen sonderlich berührt wurde, auch der rüde Beschimpfte schien so etwas geradezu als Kompliment anzusehen, das ihn bei dem magisch schweigenden Großunternehmer am Tisch womöglich gar in ein vorteilhaftes Licht setzte. Und so war es offenbar auch. Wildfleck sah Tomislaw mit erwachtem, gleichwohl gelassenem Interesse an. Er sei gar nicht grundsätzlich gegen das Arbeiten, ließ der Junge sich jetzt ein, Herrn Wildfleck gewinnend anstrahlend. Nur Weiberarbeit, Putzen und Spülen, das komme für ihn nicht in Frage, das entehre ihn.
    »Auch Fensterputzen an Hochhäusern?« Es war tatsächlich gelungen, dem adamant schweigenden Wildfleck eine Frage, wenn auch eine knappe, zu entlocken. Tomislaw sah so unternehmungslustig aus, als habe man ihn zu einer Hochgebirgs-Expedition eingeladen.
    »Ich bin absolut schwindelfrei.« Warum sollte er eine der vielen herausragenden Fähigkeiten, die ihn auszeichneten, unter den Scheffel stellen? Er muß dann tatsächlich eine ganze Weile bei der Firma Wildfleck gearbeitet haben.

Fünfzehntes Kapitel
    Die Rückkehr zur Ordnung
    Frau Breegen lag wieder nackt auf der Massagebank, der Masseur war mit ihrem Rücken beschäftigt, zwei rundliche weiße Hügel, vom Tal des Rückgrats geteilt, reckten sich seinen Händen entgegen. Frau Breegen staunte von neuem, wie er mit solch dicken kurzen Fingern derart fein auf ihren Nerven und Muskeln spielen konnte, die sich vor seinem Zugriff vergeblich unter der wäßrigen Fettschicht versteckten. Von außen war gar nichts zu sehen, unstrukturiertes Fleisch, und er setzte mit der Sicherheit des Wünschelrutengängers seinen Daumen auf diese oder jene Stelle und traf den Knubbel, die kleine Verhärtung, als ob er auf einen roten Knopf drückte, und Frau Breegen sagte: »Au«, ein mildes, schnurrendes Au, kein Schmerzensschrei, denn sie wollte ihn ja ermutigen, in der Erforschung ihres Körpers nicht nachzulassen. Der Mann sollte etwas leisten für sein Geld. Wie befriedigend waren diese Stunden auf der Massagebank, auf der sie so hoch lag, als schwebe sie im Raum. Wie würzig duftete das Massageöl, wie wohl fühlte sie sich in ihrem Körper, wenn er so fest und sicher angefaßt wurde. Es war ein eigentümlicher, nicht recht zu fassender Aspekt der Massage, daß sie sich, ausgestreckt und mit ganzer Schwere auf der Bank ruhend, schlanker vorkam, auch jugendlicher. Dies unbefangene Nacktsein, zu dem der Begriff Schamlosigkeit keineswegs gepaßt hätte, ließ Empfindungen von Freiheit und Gesundheit in sie einströmen, die sie sonst nicht kannte. Die Selbstkritik vor dem Spiegel, der sich schmerzhaft, aber ergebnislos dahinziehende Krieg gegen den eigenen Appetit, das Hin und Her zwischen trotzigen Exzessen und verdrossenen Verzichtsleistungen trat in den Hintergrund. Die Pratzen des feinfühligen Masseurs pflückten und streichelten das Gewicht von ihr weg. Es ruhte in seinen Händen und wurde weniger, auch wenn die Waage in ihrer groben Mechanik den Unterschied nicht zu registrieren vermochte. Und seine sanfte Strenge tat ihr gut – »das ist wichtig«; das Maßregelnde, Verweisende machte sie darauf aufmerksam, daß zu ihrem Pflichtenkatalog auch diese passive

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