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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Erkenntnisstand auch nicht anders möglich war, Herr Breegen in scharfsinnigem Abwägen der ihm nur allzu gut bekannten Fakten. Die Stunde in Maruschas Garderobenschrank war nicht an ihm abgeglitten, sondern hatte einen tiefen Eindruck hinterlassen. In welcher Lage war er gewesen – in welche Lage hatte er selbst sich gebracht! Er war ein beherrschter Mann. Demütigungen, Rückschläge, Durchkreuzungen seiner Pläne nahm er ohne äußerlich wahrnehmbare Zeichen hin. Er konnte hinunterschlucken. Was für ihn zählte, war die Macht, auch die Macht der Tatsachen. Wer selbst gern Macht ausübte, kam auch mit fremder Macht zurecht. Aber tief im Innern des Asbestofens, mit dem sein Seelengebäude durchaus verglichen werden kann, glommen die Funken, die keine Selbstkontrolle löschen würde. Und als echter Machtmensch, der vor allem die eigene Macht im Auge hat, saß er unbarmherzig über sich selbst zu Gericht: Was war sein Fehler gewesen? Wo hatte er versäumt aufzupassen? Zu dem Schluß zu kommen, daß sich eine Situation wie die im Schrank niemals wiederholen dürfe, war lächerlich. Es hatte von Anfang an dazu nicht kommen dürfen.
    Er hatte sich verrannt. Er war unter den besänftigenden und sanft erregenden Reden und Berührungen Maruschas eingeschlafen. Es gab jetzt eine erste Dringlichkeit: Ivana mußte aus dem Haus verschwinden, aus dem eigenen zuallererst, aber ebenso aus dem Maruschas, was schließlich gleichfalls das seine war – mit dem Recht südamerikanischer Hacienderos durfte auch er ja von einer Casa Grande und einer Casa Pequeña sprechen. Dahinter aber stand eine schmerzhafte und ebenso wichtige Entscheidung das Verhältnis zu Maruscha betreffend. Er gebrauchte, während er nachdachte, dafür das Vokabular, das sonst in seinen Geschäften Anwendung fand, wenn von Risikobereinigungen, Wertberichtigungen, Besinnung auf das Kerngeschäft die Rede war. Mit solchen Formeln verpflasterte man gleichfalls Entschlüsse, die gelegentlich tief ins Fleisch schnitten. Keiner seiner Feinde hatte ihn bei solchen Operationen je seufzen hören – jeder im Geschäftsleben war ein potentieller Feind, es lohnte gar nicht, Unterschiede zu machen, aber bei dem notwendigen Vorhaben, das jetzt anstand, würde es keine Zuschauer geben, seine steinerne Miene würde sich selbst genügen müssen, wie ein Stern sich selbst genügt.
    Mit Ivana war er schnell einig geworden. Er bestellte sie in ein Café. Sie erhielt drei Monatsgehälter und die Aussicht auf drei weitere, wenn sie bewiesen hatte, daß sie keinerlei Verbindung mit Frau Breegen aufnahm. Dafür waren als Frist drei Monate gesetzt, danach schätzte Herr Breegen sie als ungefährlich ein. Sie lauschte seinen Vorschlägen mit einem Blick, der den Haß nicht verbarg. Das Geld steckte sie kommentarlos ein. Zu tief empfand sie die Ungerechtigkeit der Lösung. Wer hatte im Schrank gesteckt? Wer hatte ihn befreit? Die Frage, wer zu Frau Breegen ausfällig geworden sei, stellte sie sich nicht. Das war ihr schon in einem Zustand der Erregung unterlaufen, den Herr Breegen verschuldet hatte. Herr Breegen war nicht völlig überzeugt, den Fall endgültig erledigt zu haben, als Ivana ihn verließ. Ihre Blickpfeile prallten an seiner dicken Haut ab, aber er registrierte sie.
    Immerhin fühlte er sich in der Lage, während der Massage, im dunkelgrauen Anzug mit Weste und kartonsteif gestärktem weißen Hemd, vor seine nackte, gleichsam waffenlose Frau hinzutreten und ihr knapp mitzuteilen, Ivana habe angerufen. Sie komme heute nicht und werde auch in Zukunft nicht mehr kommen. Irgendwelche bosnischen Querelen habe sie angeführt, dort unten sei bekanntlich immer der Teufel los.
    Frau Breegen blieb der Mund offenstehen. Da dachte sie gerade jetzt an Ivana und ihr ungezogenes Benehmen und an Herrn Breegen, der sie so seltsam in Schutz nahm – und im selben Augenblick trat er ein und sprach zu ihr von Ivana und gar von deren endgültigem Verschwinden.
    Es war jetzt alles klar, denn Frau Breegen verließ sich auf ihre Ahnung – »Wir Frauen ahnen alles, uns kann man nichts verheimlichen …« –, Herr Breegen hatte ein Verhältnis mit Ivana gehabt, oder ein solches hatte sich zumindest angebahnt – und nun war er klug genug, sich zu befreien und zu Frau Breegen zurückzukehren. Die Entrüstung, die sich zunächst in ihr geballt hatte, wurde alsbald von einer Riesenwoge aus Erleichterung und Dankbarkeit hinweggeschwemmt.

Sechzehntes Kapitel
    Die Vergebung der

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