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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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einer Betonmauer im Stil Hofmannsthals …« Aber das lockte nur Rotzoffs Hohn hervor: »Vieux jeu, vieux jeu« – mit diesem Ruf hatte er in seiner Werbeagentur mißratene Entwürfe abgewehrt –, »das ist doch schon das Thema von tausend Bänden Photokunst …«
    »Aber gestern nacht habe ich einen Band mit Gedichten im Stil Sologubs abgeschlossen«, jetzt kehrte das Strahlen in Tomislaws Miene zurück, seine von jeder Art Humor strikt gereinigte gute Laune, »den kennt man hier noch nicht so gut – das ist doch eine Chance?«
    »Verspäteter Ostblock-Avantgardismus«, Rotzoff gab den Kenner, trübte aber die Stimmung des fruchtbaren jungen Dichters nicht. Er selbst sei inzwischen – wann in der letzten halben Stunde? – von Sologub etwas abgerückt, er sei doch letztlich allzu …, allzu … Ich habe vergessen, was er allzusehr sei, Tomislaw wischte die ganze Sologuberei mit einer Handbewegung zur Seite, was er besaß, besaß er reichlich, mit dem Dichten machte er es wie mit den Frauen.
    »Ich will ein abstraktes Epos im Stil von Ezra Pound angehen, bin damit auch schon ziemlich weit gekommen, würde aber Pound gern übertreffen, letztlich hinter mir lassen …«
    Männer, die ihre Ehre mit dem Kopf verteidigten, kühl kalkulierende Erotiker, für die Mann und Frau als natürliche Feinde wie Krokodil und Antilope, Tiger und Ziege, Fuchs und Gans einander gegenüberstanden. Die Gedichte gab es aber wirklich. Als echter Jungdichter hatte Tomislaw ein voluminöses Manuskript dabei, wie heute üblich perfekt gesetzt, ein Ausdruck, der Druckfertigkeit suggerierte und dabei schon halb von seinem Autor verworfen war – aber wer wußte, vielleicht fiel ein anderer doch noch darauf herein?
    Ich war mir unversehens unsicher, ob Winnie so schlecht hier hingepaßt hätte – zu Rotzoff keinesfalls, die brutale Vulgarität, die nicht mehr taufrische Erscheinung, die Gefühllosigkeit – dies alles waren Eigenschaften, die ihn für Winnie unsichtbar machen mußten. Aber wenn der kleine Tomislaw nicht so schreckliches Zeug geredet hätte, wäre er womöglich gar das perfekte physische Pendant für Winnie gewesen. Ein schönes Paar, hätte man gesagt. Als ich dies dachte, fühlte ich wieder einen Stich in meinem Herzen. Ich mußte den Blick von dem überfruchtbaren Fortsetzer der montenegrinischen literarischen Tradition mit Gewalt abwenden.
    Ein Mann mit einem Kopf, so kahl wie der des bronzedunklen Fußballhelden, nur elfenbeinweiß, gesellte sich zu uns. Rotzoff stand mit ihm auf vertrautem Fuß und duzte ihn, was sich der gewählt gekleidete Elfenbeinfarbene mit dem ironischen Lächeln gefallen ließ, das viele Leute aufsetzten, wenn sie mit Rotzoff sprachen. Ich kannte diesen Mann. Er sagte niemals ein Wort, aber jeder, dem er eine Weile zuhörte, kam sich schließlich unbestimmt verachtet vor. An Merzingers Ecktisch galt er als derart erfolgreicher Geschäftsmann, daß er hier schon geradezu ein Fremdkörper war, »hoher Besuch«, so pflegte ihn Rotzoff denn auch zu begrüßen; der Miene der Elfenbeinkugel war in etwa abzulesen: »Du weißt gar nicht, wie recht du hast.« Wildfleck hieß dieser Mann, so stand auf der Geschäftskarte zu lesen, die er jetzt auf den Tisch vor Rotzoff hinlegte, ohne Kommentar, aber mit herablassend aufforderndem Nicken: »Nun sag mal, was du davon hältst.«
    Horst Wildfleck war darauf als Geschäftsführer der Window-clean GmbH & Co. KG Gebäudereinigung genannt. Vor vier Wochen hatte er noch eine Kleinlastwagen-Vermietung geleitet, auch dafür gab es eine eindrucksvolle Karte, gleichfalls mit erhabenen, aus Gummi aufgespritzten Buchstaben, vielleicht besaß er den Laden immer noch, Wildflecks Leitungskompetenz war durch eine einzige Firma gewiß nicht ausgeschöpft. Rotzoff sprach als Fachmann, als eben noch gefragter Werbetexter und Gestalter, sein Erfahrungsschatz war nicht zugleich mit dem Kapital zerronnen. Es ist gut möglich, daß es die Überlegenheitsgeste Wildflecks war, was die Giftigkeit Rotzoffs erst richtig provozierte. Welch ein erbärmlicher Entwurf! Welch eine Geschmacklosigkeit! Welch ein unbeholfenes Layout! »Ich würde mir von der Firma, die so auftritt, nicht einmal mein Klosett reinigen lassen.« Wildfleck lauschte unerschüttert. Sein Lächeln wurde sardonisch, als habe er diese Verurteilung vorausgesehen und als sei sie zum Schaden Rotzoffs dann auch genauso erfolgt.
    »Wildfleck arbeitet Tag und Nacht«, wandte sich Rotzoff jetzt zu Tomislaw,

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