Das Blutbuchenfest
Vorbereitung seines großen internationalen Kongresses über »Die Wurzeln und Fundamente der menschlichen Würde in den Kulturen des Balkans«, so der jetzt erst einmal »endgültige« Titel. Jeden Tag hatte er Faxe und elektronische Nachrichten in viele Richtungen der Welt gesandt. Maruscha hatte ihm mit stets gleichbleibender Freundlichkeit geholfen. Sie war seine beste Mitarbeiterin geworden, sein Büro im Grunde, und hatte inzwischen sogar eine Visitenkarte, auf der sie den Titel »Chief Assistant of Professor Wereschnikow« führte. Sie war in alle seine Angelegenheiten eingeweiht bis ins letzte Detail – doch nicht bis ins letzte, mußte er mit einem Seufzer der Dankbarkeit und einem kleinen wohltuenden Schuldbewußtsein einräumen; das Schweizer Konto, auf dem sein väterliches Erbe – kein Riesenvermögen, aber ein passabler Notgroschen – ruhte, war ihr verborgen geblieben, mehr noch, er hatte es ihr, nicht ohne Aufwand an Camouflage, auf Befehl einer inneren Stimme verborgen gehalten. Mit gelegentlich schlechtem Gewissen freilich, das auch jetzt, unter den katastrophalen neuen Umständen, nicht schwieg, ja, das sogar den Gedanken aufkommen ließ, es wäre vielleicht gar nicht so schlimm gekommen, wenn er aufrichtiger und generöser gewesen wäre. Er sollte sein Unglück im letzten also selbst verschuldet haben? So blickte Wereschnikow auf Rotzoffs Billetts mit der Trauer eines Mannes, der von der Welt längst Abschied genommen hat.
Das Gesellschaftsleben interessiere ihn überhaupt nicht. Feste der eleganten Welt, dieser ganze oberflächliche Betrieb, diese Eitelkeiten, diese konventionell verbrämten Balzereien, die Anhäufung berühmter Namen, der ewige Champagner, die scheußlichen Abendkleider der Frauen, die ein Vermögen kosteten – eine ihm ohnehin verschlossene Sphäre. Als er unlängst Gast der Getty-Stiftung bei einer großen Soirée gewesen sei, habe er ganz bewußt keinen Smoking getragen. Er sei ein Mann des Geistes und der Feder, da gehöre sich das nicht – er habe ja auch keinen Weihnachtsbaum und keinen Porsche und fahre nicht auf die Insel Mustique – »Das alles ist nicht meine Welt«, sagte er, nicht etwa in heiterer Selbstgewißheit, sondern leidend, als könne er sich zu seinem Kummer dem dauernden Ansuchen aus der Welt des Einflusses und des Überflusses nicht erwehren, als wolle man in dieser Sphäre partout auf ihn nicht verzichten. Ein strenges, einfaches, nüchternes, nur der Arbeit geweihtes Leben habe er geführt, ohne frivole Frauenbeziehungen, playboyartiges Frauenverzehren, Frauenverbrauchen, nein, es seien auf Treue und Respekt gegründete hochseriöse Verbindungen gewesen – abgesehen nur von seiner einzigen Ehefrau, einer Teufelin, aber nichts davon, er habe abgeschlossen und verziehen und rechne grundsätzlich nicht nach – sonst nur Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Malerinnen, Regisseurinnen – man sehe, auf welchem Niveau sich sein Liebesleben abgespielt habe, ein ganz dem Geist gewidmetes, einsames, strenges Leben.
Rotzoff aber hatte noch nicht aufgegeben. Es waren in Wereschnikows Klagemonolog doch einige Reizwörter gefallen, die sich ihm einprägten, der Name Getty war auch darunter, und die unvermutete Redseligkeit des früher exklusiv unzugänglichen, von Merzinger mit Privilegien ausgestatteten Wereschnikow war allzu vielversprechend. Es wäre ein Fehler gewesen, sich frühzeitig zu trollen und den Diskreten zu spielen.
Und Wereschnikow fuhr fort, durch den lauernden Blick Rotzoffs ermuntert, der dem Kellner ein verstohlenes Zeichen gegeben hatte: Die Weine, die Rotzoff sich an diesem Tisch in den Hals goß, gingen auf den Deckel des Herrn Wereschnikow – »Baron Wereschnikow nebenbei« – so habe sein Vater sich in Brasilien genannt, so fuhr Wereschnikow fort, und Rotzoff zuckte zusammen, konnte der Kerl Gedanken lesen? Aber er mußte sich nicht sorgen, Wereschnikow bemerkte ihn gar nicht mehr richtig. Mit einem gewissen Recht habe der Vater das übrigens getan, die Wereschnikows seien eine alte Familie, freilich titellos – da sei es der Brauch gewesen: im Ausland ist man Baron, dort waren die russischen Finessen ja unbekannt. Er selbst habe nie davon Gebrauch gemacht – mein Gott, Baron, ein Kaffeehaustitel, machte das Leben heute nur kompliziert, er wolle nur durch seine Leistung gelten, sei ein Vertreter der Meritokratie, das Erben sei vorbei, die Gegenwart habe das Erben verlernt, die Menschen lebten wie die Insekten im
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