Das Blutgericht
Haare.«
»Dann erzählen Sie das der Polizei.«
»Das bringt nichts.«
»Die Polizei wird uns sämtlichen Schutz gewähren, den wir benötigen.«
»Nein«, sagte ich. »Sie bescheren dem Killer nur mehr Möglichkeiten, sich Ihnen zu nähern. Besser, wenn wir es auf meine Art angehen. Dieser Mann weiß nicht, dass ich die Detonation überlebt habe. Er weiß nichts von Rink. Er erwartet nicht, dass wir hier sind. Deshalb können wir ihn erwischen.«
»Und was, wenn nicht?«, fragte Marianne. »Was, wenn er Sie zuerst erwischt?«
»Dann können Sie immer noch zur Polizei gehen und alles erzählen.«
18
Hobe Sound in Marin County, Florida, hatte eine bewegte Geschichte. Im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts war die Filmindustrie das ganz große Ding in Florida. Das Ziel der Olympia Improvement Association war es, Hobe Sound baulich zu erschließen und dort ein Filmproduktionszentrum mitsamt angeschlossener Stadt im Stile des alten Griechenland entstehen zu lassen. Für eine kurze Zeit trug Hobe Sound den Beinamen »Picture City«. Ein Hurrikan im Jahr 1928 machte allerdings diese Pläne zunichte, verwüstete die Gegend und setzte dem Grundstücksboom ein Ende – aus den Hoffnungen der OIA wurde nichts. An all das erinnerten nur noch die Straßennamen: Zeus, Saturn, Mercury, Apollo, Athena und so weiter.
Seltsame Namen waren nichts Besonderes für jemanden, der sich nach einem gefallenen Engel benannt hatte, aber selbst Dantalion ging Downtown Demeter Plaza zu weit. Er saß auf der Terrasse eines Cafés mit dem Allerweltsnamen »Pots and Pans«, das seine Gäste mit einem lebensgroßen bockbeinigen Waldgeist begrüßte, auf dessen Bauch mit Kreide die Tagesgerichte angeschrieben standen. Die Panflötenmusik, die aus quäkenden Lautsprechern über der Tür tönte, hörte sich unglücklicherweise eher nach Peru an als nach dem alten Griechenland.
Er ertrug den Laden, weil er es musste. Sein Mitarbeiter hatte alles besorgt, was er für seinen Angriff auf Neptune Island brauchen würde, und wollte es ihm hier innerhalb der nächsten Stunde übergeben. So lange biss er die Zähne zusammen, trank Kaffee, der so stark war wie Getriebeöl, und hielt sich unter dem Schirm am Tisch vor der Sonne verborgen.
Es war schon später Nachmittag, aber immer noch weit über dreißig Grad heiß. Unter seinem weiten Mantel lief ihm der Schweiß den Rücken herab und sammelte sich auf dem Kunststoffsessel, auf dem er saß. Bequem war das nicht, und die Wunde an seinem Oberschenkel meldete sich wie aus Protest. Er war nicht sehr glücklich.
Banyanbäume mit ihren merkwürdig gewundenen Stämmen und Ästen schirmten den Verkehrslärm der nahe gelegenen Athena Street ab. Gegen das harsche Licht der tief stehenden Sonne betrachtet, sahen sie aus wie die Silhouetten deformierter Riesen. Das Geplapper der Touristen und Einheimischen hielt sich in Grenzen, als ob die Hitze ihnen sämtliche Kräfte geraubt hätte, das Sprechen viel zu anstrengend wäre, als dass es über ein Flüstern hinausgehen konnte.
Er betrachtete die Leute im Einkaufszentrum, sich durchaus ihrer neugierigen Blicke bewusst. Hier unter seinem Sonnenschirm fiel er auf wie eine Kerzenflamme in einer dunklen Grube. Es gefiel ihm nicht, so viel Aufmerksamkeit zu erregen, aber letztendlich hatte er auch nicht vor, hier jemanden zu töten. Zumindest nicht, wenn sie bald das verdammte Geflöte abstellten!
Ein fetter Mann kam auf ihn zu. Er trug weite Flanellhosen und ein schwarzes Hemd mit aufgestickten Flammen, die seine Ärmel hochzüngelten. Schweiß stand ihm auf der Stirn wie Morgentau. Er trug einen Rucksack. Dantalion nickte seinem Mitarbeiter zu. Der Mann glaubte ihn zu kontrollieren, aber Dantalion wusste es besser. Der Dicke war bloß der Lastesel, der ihm sein Material brachte.
Er setzte sich, der Stuhl quietschte unter seinem Gewicht. Er stellte den Rucksack auf den Boden und schob ihn mit ein paar kräftigen Tritten weiter unter den Tisch. Dantalion zog den Rucksack mit einem Fuß am Tragegurt zu sich. Er fühlte sich schwer an.
»Möchten Sie Kaffee, Gabe?«, fragte Dantalion.
Gabe Wellborn wischte sich mit der Handfläche den Schweiß von der Stirn, wobei die Tröpfchen auf das Tischtuch spritzten. Missmutig starrte Dantalion auf die feuchten Flecken und dann in das verschwitzte Gesicht des Mannes.
»Oder möchten Sie lieber etwas Kälteres?«
»Das wäre mir sehr recht, Mr. Talion.«
Dantalion winkte einen Kellner zu sich. Der Mann bewegte sich,
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