Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
überraschte, war, dass Asela dies zu unterstützen schien. Ihren Worten war das nicht leicht zu entnehmen, aber das Glitzern in ihren Augen verriet, dass auch sie es genoss, an diesem kleinen Abenteuer teilzunehmen. Sie hatte ihre Rolle in diesem Spiel und spielte sie perfekt … und mit einem Augenzwinkern.
Ich hatte das Gefühl, dass es nicht oft vorkam, dass man diese drei so erleben konnte, und fühlte mich seltsam geehrt, dass sie uns dazu eingeladen hatten.
»Es ist nicht nur ein Siegel«, unterbrach Wiesel meine Gedanken. »Es ist weit mehr als das. Selbst Asela musste zugeben, dass in diesem Siegel mächtige Magien gebunden sind.«
Die Eule nickte. »Ich kannte es von früher, wusste, dass es sich dort befindet, hatte aber nicht allzu oft Gelegenheit, es zu studieren. Oder das Interesse daran. Askannon erschuf es zeitgleich mit diesem Saal, es gehört einfach dazu. Aber ich gebe zu, dass auch mich jetzt die Neugier gepackt hat. Also, was haltet Ihr davon, Ser General? Ist es ein Siegel oder, wie Ser Wiesel meint, die Versiegelung, das Schloss zu einer geheimen Kammer?«
Ich musterte das Siegel zu meinen Füßen. Es war wohl etwas über einen Schritt im Durchmesser und geradezu überladen mit fein ausgeführten Reliefs. Am einfachsten, am deutlichsten war das Symbol des Weltenbaumes zu erkennen, der für das Leben stand und von den Elfen als Ursprung aller Dinge verehrt wurde. Er rankte sich in die Höhe und die Breite, um schützend sein belaubtes Dach über die Welt zu strecken. Doch in den mir bekannten Darstellungen des Elfenvolks fehlte das Wurzelwerk des Baumes, das hier mit großer Sorgfalt dargestellt worden war. Zwischen Blatt und Wurzelwerk, zum Teil verdeckt, befanden sich andere Formen, so ineinandergearbeitet, dass sie nur dann zu erkennen waren, wenn man sich darauf konzentrierte. Mal bildete ein Ast den Rahmen eines Wappens oder eines Banners, mal war derselbe Ast die Pfote eines Fabelwesens, es kam darauf an, wie man hinsah und was man sehen wollte. Das gesamte Siegel war voll davon. Es war nicht ein Bild, das hier dargestellt wurde; in dem Blatt und Wurzelwerk des Baums verbargen sich noch tausend andere. Welcher Goldschmied auch immer dieses Werk vollbracht hatte, er war ein begnadeter Künstler gewesen.
»Kannst du etwas erkennen?«, fragte Serafine, die nun auch herangetreten war, um sich das Siegel zu besehen.
»Vielleicht«, antwortete ich gebannt, »nur weiß ich noch nicht, was.«
Jetzt, da ich so lange suchend in diese wundersame Welt gestarrt hatte, offenbarte es sich mir auf einmal doch. Dort, das konnte das Wappen von Aldane sein, die Blätter bildeten den Wolf, den die Varländer in ihrem Wappen führten. Das Siegel besaß eine Tiefe, die sich dem Betrachter erst nach und nach erschloss. Sah man länger hinein, traten die verborgenen Figuren hervor, begannen die Blätter sich in einem unsichtbaren Wind zu wiegen, erschlossen sich Zusammenhänge, derer man vorher nicht gewahr werden konnte. Und während ich noch schaute, sah ich, wie sich etwas an dem Siegel veränderte, hier wuchs ein neuer Ast, dort war ein alter abgebrochen, versank das Wappen einer unbekannten Adelsfamilie im Erdreich, um von den Wurzeln begraben zu werden.
Plötzlich sah ich mich in diesem Bild, hinter dem Baum, kaum sichtbar in die Struktur der Borke übernommen. Die junge Frau, die mitsamt dem Bachlauf, an dem sie kniete und Wasser schöpfte, von Astwerk gezeichnet war, musste Desina sein, und dieses Zwillingswesen, das über sie Wache hielt, war niemand anderes als Balthasar, dessen neue Form den Baum nicht täuschen konnte.
Je länger ich schaute, umso mehr fand ich sie wieder. Meine Gefährten, meine Königin Leandra, dort der Wolf, die Schnauze angehoben, um ein Heulen anzustimmen, konnte niemand anders als Angus sein, und der freundliche Gigant hier vorne, der mit einer Schar von Kindern spielte, war Ragnar, selbst seine Axt war in diesem Bild zu finden, sie lehnte vergessen an dem Stein, auf dem er saß.
»Havald«, hörte ich eine ferne Stimme. »Havald! Was ist mit dir?« Es war Serafine, die mich am Arm zog und schüttelte, und als ich ihrer gewahr wurde, verschwand diese wundersame Welt und wurde wieder zu einem goldenen Siegel, das doch um so viel mehr als das war.
»Erstaunlich«, meinte Asela. »Ich hätte schwören können, dass die Magie des Siegels zunahm, je länger er dort hineinsah.«
»Ich …«, begann die Kaiserin, um sich sogleich zu unterbrechen und mich erst prüfend
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