Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
vergossen werden würde.
»Das ist die Krone des Vergessenen«, erklärte er voller Ehrfurcht mit einer Stimme, die kaum laut genug war, um das Knistern des kleinen Feuers zu übertönen. »Wer sie hält, spricht für die Kor und tritt das Erbe derer an, die vor uns waren.«
»Ist das …«, begann ich.
»Das ist Tarn«, sagte Zokora rau. In ihrer Stimme schwang ein Ton mit, den ich selten von ihr vernommen hatte. »Der Konvent.«
Nicht nur ich sah sie jetzt fragend an, sie hatte auch die Neugier des Schamanen erweckt.
»Was bedeutet das?«, fragte ich.
»Einst waren wir Elfen ein Volk«, erklärte Zokora und trank noch einmal genüsslich von dem Tee, ohne sich daran zu stören, wie brühend heiß er war. »Es geht die Legende, dass es einen Ort gab, an dem wir uns trafen, friedlich unsere Angelegenheiten regelten und den Weltenbaum ehrten, der sich dort in aller Pracht zeigte. In seinem Schatten saßen unsere Anführer und bestimmten das Schicksal unseres Volks. Aber auch unser Volk kann unvernünftig sein. Tarn stand für den Kreis des Lebens, für das, was war, was kam, was kommen würde. Er war keine Krone in dem Sinne, wie es die Menschen sehen, sondern ein Zeichen der Einigkeit, und dennoch war er ein Zeichen der Macht, denn der, der ihn trug, sprach für uns und entschied für alle. Der letzte Träger des Tarn war zum Baum gegangen, und die Völker meiner Vorfahren trafen sich, um zu bestimmen, wer den Tarn nun tragen würde … und fanden einen vor, der ihn sich bereits genommen hatte. Morgon, der Verfluchte. Er sagte, dass die Zeit gekommen wäre, unseren Platz zu räumen, und verlangte von den anderen Anführern, ihm in die Dunkelheit zu folgen. Es wäre der Wille Omagors, und sie müssten sich ihm beugen.« Sie schluckte. »Morgon trug den Tarn, doch er war ihm nicht gegeben worden, er hatte ihn sich genommen. Die anderen Anführer wollten ihn nicht anerkennen, doch Morgon hatte dies vorausgesehen, und als sie protestierten, ließ er sie in der Halle der Abendröte erschlagen, in der sie zusammengekommen waren, um friedlich zu beraten. Die anderen Stämme wollten das nicht dulden. Eine Runenseherin der Shaa, eine der Priesterinnen, die ihr Leben dem Weltenbaum gewidmet hatten, sagte, dass Morgon es wäre, der sich gegen das Schicksal stellen würde, denn der Tarn zeige seinem Träger, wie die Dunkelheit aufzuhalten wäre. Es kam zu einem Kampf … Morgon wurde erschlagen, doch mit seinem letzten Atem rief er, dass niemand sich dem Willen seines Herrn entgegenstellen dürfe … und zerschlug den Tarn. Es heißt, dass er mit seinem letzten Lebensfunken die Stücke des Tarn in der Welt verstreute, bevor er im Fanal verging und alle mit sich riss, die sich gegen ihn erhoben hatten.« Sie schaute mit brennenden Augen zu mir hin. »Bis jetzt dachte ich, dass der Tarn eine Legende wäre, es das Land des Abendrots nicht gäbe, es nur eine Geschichte wäre, den Niedergang unseres Volks darzustellen. Denn dort, wo der Tarn zerbrach, fand der Krieg der Götter seinen Anfang, dort entschied es sich, dass sich mein Volk gegen unsere hellen Schwestern und Brüder stellte, weil es Morgons Worten Glauben schenkte.«
»Hast du mir nicht gesagt, dass die Legenden deines Volks wahr wären?«, fragte ich sie leise.
»Ja«, sagte sie. »Doch hier hoffte ich, dass es nicht mehr als eine Legende wäre, denn es gibt noch eine andere Überlieferung dazu, welche besagt, dass Morgon den letzten Träger des Tarn selbst erschlagen hätte, weil er nicht dulden wollte, dass dieser die Elfe zur Frau nehmen wollte, nach der Morgon selbst in Lust entflammt war, Alesh, die Helle, die seine eigene Schwester war.« Sie schaute grimmig zu der Schale hin, die der Schamane weiter hielt, obwohl in den Dämpfen nichts zu sehen war. »Denn ist die Geschichte über den Tarn wahr, ist die eine Legende wahr, so ist es auch die andere. Ich will nicht glauben, dass der Krieg der Götter seinen Ursprung darin fand, dass ein Mann unseres Volkes nach einer Frau trachtete, die ihm verboten war, und so alles seinen Ursprung nahm. Eine solche Dummheit, hoffte ich, wäre nur den Menschen vorbehalten.«
Ein tiefes Schweigen folgte ihren Worten, nur das Knistern des Feuers war zu hören. Ich sah mich um und fand, dass sich die anderen Mitglieder von Ma’tars Stamm um uns und das Feuer herum versammelt hatten. Zokora hatte nicht laut gesprochen, doch in der Stille hatten ihre Worte weit getragen. Mir kam es vor, als wäre es einer dieser Momente, in
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