Das Boese in uns
muss.
»Was ich davon halte? Es ist großartig! Wirklich, wirklich großartig! Außerdem kann er kochen!«.
Es ist spät in der Nacht, und Tommy schläft neben mir. Durch das Fenster sehe ich den Mond, jenen alterslosen uralten Gesellen. Menschen haben unter ihm getanzt, sich unter ihm gepaart, unter ihm getötet, geliebt, sind unter ihm gestorben. Der Mond hört nicht auf zu scheinen. Das Leben geht weiter.
Ich denke an meine Mutter und frage mich, warum die Sterbehilfe, die ich ihr geleistet habe, eine geringere Bürde für mich gewesen ist als die Abtreibung. Das ist das eine Geheimnis, das ich niemandem je erzählt habe, nicht einmal Matt. Und jetzt habe ich es einem Ungeheuer gebeichtet. Irgendwie passt es zu meinem Leben. Es hat mir nie wirklich zu schaffen gemacht. Es ist passiert, und ich denke nicht sehr oft daran.
War es falsch?
Auf diese Frage finde ich die gleiche Antwort, die ich immer gefunden habe: Es ist mir egal.
Sie musste nicht mehr leiden. Das war alles, was letzten Endes für mich gezählt hat.
Ich habe bei ihrer Beerdigung geweint. Ich habe seit damals nicht mehr um sie geweint. Ich weine auch jetzt nicht, doch ich lasse die Trauer um sie ein ganz klein wenig an mich heran.
Ich vermisse dich, Mom. Dad war ein großartiger Vater, aber ich war immer die Tochter meiner Mutter.
Tommy rührt sich neben mir. Ich lächle.
Er ist ein guter Mann, Mom. Anders als Matt. Nicht besser oder schlechter, nur anders.
Mein Leben ist chaotisch. Mir wird bewusst, dass ich versucht habe, jeden zu begraben. In eine kleine Kiste zu stecken und mit Erde zu bedecken. Was für ein Unsinn. Die Geister sind da, und sie werden immer da sein. Und sie zeigen sich immer dann, wenn ihnen danach ist.
Der Trick besteht darin, einfach weiterzumachen, ohne den Schmerz zu spüren. Wie der Mond. Ohne zu leiden.
Der Mond scheint weiter, und ich sage den Geistern, dass sie sich schlafen legen sollen. Ich drehe mich zu Tommy um und kuschle mich an seine Wärme.
Willkommen daheim, Reisende, raunt jemand.
Und ich flüstere: »Mom?«, ehe ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf versinke.
Der Mond scheint weiter.
EINE LETZTE SACHE:
DIE SÜNDEN DER KIRBY MITCHELL
Los Angeles, Nachrichtenmeldung:
Michael und Frances Murphy wurden heute Morgen tot in ihren Gefängniszellen aufgefunden. Offensichtlich handelt es sich um Selbstmorde. Die Zwillingskiller wurden berüchtigt wegen ihrer Videoclips, die sie auf der beliebten User-Tube Webseite gepostet hatten. Diese Clips zeigten die letzten Augenblicke und die intimsten Beichten von mehr als einhundertvierzig Frauen.
Michael Murphy war der Kopf des Killerduos. Er behauptete, dass religiöse Motive hinter den Morden standen. Seine Taten wurden jedoch — obwohl für kurze Zeit von einer radikalen Minderheit unterstützt - von der weltweiten christlichen Gemeinde verurteilt und abgelehnt.
Die beiden starben in einem Abstand von wenigen Stunden. Dass keine Abschiedsbriefe gefunden wurden und die Murphys obendrein katholisch waren, sodass Selbstmord für sie wohl nicht in Betracht kam, zieht in beträchtlichem Ausmaß Spekulationen nach sich, dass ein Verbrechen vorliegen könnte. Derartige Spekulationen werden von den Polizei- undJustizbehörden zurzeit jedoch nicht ernsthaft verfolgt.
Impressum
Das Böse in uns
von Cody McFadyen (Autor),
Axel Merz (Übersetzer)
Preis: EUR 19,95
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe; Auflage: Neuauflage. (14. Oktober 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3785723393
ISBN-13: 978-3785723395
Originaltitel: The Darker Side
ebook Erstellung - April 2010 - TUX
Ende
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