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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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die durch Flure zog, und Seelen, die durch Menschen zogen, Strömungen, die von den Lungen zum klopfenden Puls und zu pochenden Schläfen und wieder zurück zu den Lungen verliefen. Genau wie die beiden spürten, daß sich der Ballon wie Herbstregen herabsenkte, so fühlte sie, wie die Seelen der Jungen durch die bebenden Nasenflügel entflohen und wieder zurückkehrten. Jede Seele – ein riesiger warmer Fingerabdruck – fühlte sich anders an, sie konnte sie zwischen den Fingern drehen wie Lehm; jede schmeckte anders, sie konnte sie mit ihrem Gummigaumen, ihrer Natternzunge kosten; klang anders – sie stopfte sich die Seele in ein Ohr, zog sie beim andern wieder heraus. 
    Ihre Hände griffen spielerisch durch die Luft herab, eine nach Jim, eine nach Will. Der Schatten des Ballons überspülte sie mit einer Woge der Panik, erfüllte sie mit Entsetzen. 
    Die Hexe atmete aus. 
    Der Ballon, nun von dem säuerlich riechenden Ballast befreit, hob sich. Der Schatten glitt vorüber. 
    "O Gott!" sagte Jim. "Jetzt wissen sie, wo wir wohnen." 
    Beide schnappten nach Luft. Irgendein unheimliches Paket schrappte und knirschte über die Ziegel von Jims Dach. 
    "Will! Sie hat mich!" 
    "Nein! Ich glaube..." 
    Das schabende, bürstende Geräusch ratschte von unten nach oben über das ganze Dach. Dann sah Will den Ballon hochwirbeln und in Richtung auf die Berge davonfliegen. 
    "Sie ist weg – da fliegt sie! Jim, sie hat was mit deinem Dach gemacht. Schieb den Kletterbalken rüber!" 
    Jim schob den langen, dünnen Pfosten herüber, an dem sonst die Wäscheleine befestigt wurde. Will verankerte ihn fest an seinem Fenstersims, dann kletterte er Hand über Hand hinüber, bis Jim ihn über seine Fensterkante ins Zimmer zog. Den Pfosten versteckten sie im Einbauschrank. Dann schoben und zogen sie sich gegenseitig zum Dach hoch. Auf dem Dachboden roch es nach Sägemühlen, alt, dunkel und viel zu still. Will schob sich auf den hohen Dachgiebel hinaus und rief: "Jim, da ist es!" 
    Und da war es auch, schimmernd im Mondlicht. 
    Es war eine Spur, wie eine Schnecke sie auf dem Bürgersteig hinterläßt. Schleimig. Silbrig glitzernd. Aber es war die Spur einer gigantischen Schnecke, die hundert Pfund wiegen mußte, wenn es eine solche Schnecke überhaupt gab. Das silbrige Band war einen Meter breit. 
    Es begann unten an der laubgefüllten Dachrinne, zog sich bis zum First empor und auf der anderen Seite zittrig wieder hinunter. 
    "Warum?" keuchte Jim. "Warum nur?" 
    "Das ist einfacher, als nach Straßennamen und Hausnummern zu suchen. Sie hat dein Dach markiert, damit sie es meilenweit sehen können. Tag und Nacht." 
    "Ach du liebe Zeit!" Jim bückte sich und berührte die Spur mit dem Finger. Ein leicht übelriechendes, klebriges Zeug blieb daran haften. 
    "Will, was sollen wir machen?" 
    "Ich hab eine Idee", flüsterte der andere. "Vor dem Morgen kommen sie gewiß nicht zurück. In der Nacht fangen die keinen Krach an. Sie haben einen bestimmten Plan. Und was wir jetzt machen – das da!" 
    Tief unter ihnen lag, zusammengeringelt wie eine gewaltige Boa Constrictor, der Gartenschlauch. 
    Will war wie der Wind unten, schnell, lautlos, er stieß nichts um und weckte keinen auf. Jim oben auf dem Dach war überrascht, als Will in Null Komma nichts wieder angekeucht kam, den Schlauch in der Faust. 
    "Will, du bist ein Genie!" 
    "Klar! Beeil dich!" 
    Sie zerrten den Schlauch hinaus, um die Schindeln zu durchweichen, das Silber wegzuspülen, die böse Quecksilberfarbe zu beseitigen. 
    Bei der Arbeit blickte Will auf. Die reine Farbe der Nacht ging schon in den Morgen über. Er sah den Ballon, der gegen den Wind anmanövrierte. Spürte sie es? Kam sie zurück? Würde sie das Dach noch einmal markieren? 
    Mußten sie es noch einmal abwaschen? Markieren – abwaschen, bis der Morgen kam? Ja, wenn's sein mußte... 
    Wenn man der Hexe nur endgültig das Handwerk legen könnte, dachte Will. Sie wissen unsere Namen nicht, kennen die Anschrift nicht. Und Mr. Cooger ist dem Tode zu nahe, um sich daran zu erinnern. Der Zwerg – falls das wirklich der Blitzableitermann ist – hat keinen Verstand mehr und erinnert sich auch nicht, so Gott will. 
    Und sie werden es nicht wagen, Miss Foley vor dem Morgen zu belästigen. Also warten sie zähneknirschend draußen auf der Wiese und haben die Hexe als Kundschafterin vorgeschickt... 
    "Ich bin ein Narr!" klagte Jim, als er

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