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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Hand, das Leben wie eine Zuckerstange in der anderen. Rasselt mit der Klapper, dich zu schrecken, hält dir die Zuckerstange hin und macht dir den Mund wäßrig. Die Zauberschau, beide Hände voll! 
    Er sprang auf. 
    "Dad, hör mir zu: Du wirst ewig leben! Glaub's mir, oder du bist verloren! Klar, du warst vor ein paar Jahren krank – aber das ist vorbei. Klar bist du vierundfünfzig, aber das ist doch jung! Und noch etwas..." 
    "Ja, Will?" 
    Sein Vater wartete. Er zögerte, biß sich auf die Lippen, platzte heraus: 
    "Bleib von dem Zirkus weg!" 
    "Seltsam", murmelte Dad, "das wollte ich dir gerade sagen." 
    "Ich würde nicht für eine Milliarde Dollar noch einmal dorthin gehen." 
    Aber, fügte Will in Gedanken hinzu, das wird die Zirkusleute nicht davon abhalten, die ganze Stadt nach mir abzusuchen. 
    "Versprichst du's mir, Dad?" 
    "Warum soll ich nicht dorthin gehen, Will?" 
    "Das gehört mit zu den Dingen, die ich dir morgen oder nächste Woche oder nächstes Jahr erzähle. Du mußt mir einfach vertrauen, Dad." 
    "Tu ich, mein Sohn." 
    Dad reichte ihm die Hand. 
    "Das ist ein Versprechen." 
    Wie auf ein geheimes Zeichen wandten sich beide dem Haus zu. Die Zeit war um, es war spät, es war genug geredet, sie spürten beide, daß sie jetzt gehen mußten. 
    "Wo du rausgekommen bist, da gehst du auch wieder rein", sagte Dad. 
    Will tastete schweigend nach den eisernen Stiften unter dem raschelnden Efeu. 
    "Dad. Du wirst sie mir doch nicht rausziehen?" 
    Dad probierte einen der Stifte. 
    "Eines Tages, wenn du sie nicht mehr haben willst, wirst du sie selbst herausziehen." 
    "Ich werde sie nie leid." 
    "Kommt dir das so vor? Ja, in deinem Alter glaubt man immer, man wird nie etwas leid. Gut, mein Sohn, rauf mit dir!" 
    Er sah, wie sein Vater die efeuumrankte Steige entlang nach oben blickte. 
    "Willst du auch mit raufkommen, Dad?" 
    "Nein, nein!" rief Vater rasch. 
    "Du darfst gern, wenn du möchtest", sagte Will. 
    "Schon gut. Los jetzt." 
    Aber er betrachtete immer noch das Efeulaub, das sich in einer frühen Morgenbrise bewegte. 
    Will griff hinauf, nach der ersten, zweiten, dritten Sprosse, dann blickte er hinab. 
    Schon aus dieser geringen Entfernung sah es aus, als schrumpfte Dad da unten auf dem Rasen ein. Irgendwie wollte er ihn nicht zurücklassen, mitten in der Nacht, allein gelassen, die eine Hand wie zu einer Bewegung halb erhoben. Aber er bewegte sie nicht. 
    "Dad!" flüsterte er. "Du hast doch nicht das Zeug dazu!" 
    "Wer sagt das?" rief Dads Mund lautlos. 
    Dann sprang er. 
    Lautlos lachend schwangen sich der Junge und der Mann an der Seite des Hauses empor, immer weiter, Hand über Hand, Fuß um Fuß. 
    Er hörte, wie Dad abrutschte, strampelte, sich festhielt. 
    Nicht loslassen, dachte er. "Ach..." Der Mann atmete schwer. 
    Mit geschlossenen Augen betete Will: Halt – dich – fest! 
    Der alte Mann atmete ein, atmete aus, fluchte leise, kletterte weiter. 
    Will öffnete die Augen. Der Rest des Weges ging glatt, wunderbar, leicht, herrlich. Sie schwangen sich über das Fensterbrett und blieben dort eine Weile sitzen, gleich groß, gleich schwer, getönt von denselben Sternen. Sie umarmten sich mit dem Gefühl herrlicher Erschöpfung, lachten leise miteinander, preßten einander die Hand auf den Mund, aus Angst, jemanden zu wecken – Gott, das Land, die Frau, die Mutter, die Hölle. Sie spürten die warme Quelle der Heiterkeit dort, blieben noch einen Augenblick so sitzen, die Augen hell und feucht vor Liebe. 
    Dann drückte Dad den Jungen noch einmal fest an sich und war fort. Die Tür schloß sich hinter ihm. 
    Trunken von dem herrlichen nächtlichen Erlebnis, weggelockt von der Angst hin zu größeren, besseren Dingen, die er in Dad entdeckt hatte, warf Will die 
    Kleider mit lahmen Armen und wohlig schmerzenden Beinen von sich und sank schwer wie ein gefällter Baumstamm ins Bett. 

Neunundzwanzigstes Kapitel 

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    Er schlief genau eine Stunde. 
    Dann war ihm, als erinnerte er sich an etwas, das er zuvor nur halb bemerkt hatte. Er wachte auf, setzte sich hoch, blinzelte hinüber zu Jims Dachfirst. 
    "Der Blitzableiter!" japste er. "Er ist weg!" 
    Wirklich – er war fort! 
    Gestohlen? Nein. Hat Jim ihn abgenommen? Ja! Nur so zum Spaß. Lächelnd war er hinaufgeklettert, hatte den Blitzableiter abmontiert – sollte der Blitz doch in das Haus einschlagen! Angst? Nein. Angst war ein neuer Anzug

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