Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
des Ballons. 
    Die Hexe schnappte nach Luft. Sie krallte nach seinem Gesicht. 
    Der Pfeil schien eine Stunde unterwegs zu sein. Dann ritzte seine Spitze ein kleines Loch in den Ballon. Der Schaft sank rasch und tief ein wie in einen weichen grünen Käse. Der Riß verbreiterte sich von selbst über die ganze Ballonhülle wie das gigantische Lächeln, das sich über eine riesige Birne ausbreitet. Die blinde Hexe brabbelte, ächzte, zerbiß sich die Lippen, schrie schrillen Protest, und Will hielt sich fest, die Hände um Weidengeflecht geklammert, mit den Beinen zappelnd, während der Ballon seufzte, zischte, gurgelte, den eigenen, verströmenden Tod beklagte, während gruftkühle Luft entwich, der Atemzug eines Drachen, und der Korb vom Rückstoß hochgewirbelt wurde. 
    Will ließ los. Raum und Luft umsausten ihn. Er drehte sich um, fiel auf Dachziegel, glitt das alte, steile Dach hinab zur Regenrinne; mit den Füßen voran tauchte er weiter hinein ins Leere, schrie, klammerte sich an die Dachrinne, hielt sich fest und fühlte, wie das Blech ächzte und nachgab. Er suchte den Himmel ab und sah den Ballon pfeifen, zischen wie ein verwundetes Tier, hochfliegen und seinen entsetzten Atem in die Wolken verströmen, ein erschossenes Mammut, das nicht sterben will und in schrecklichen Krämpfen seinen stinkenden Atem aushustet. 
    Alles geschah in einem Augenblick. Dann fiel Will ins Nichts und hatte nicht einmal Zeit, für den Baum dankbar zu sein, der ihn aufnahm, einbettete, kratzte, ihm die Haut aufriß, aber seinen Sturz mit der Matratze seiner Äste, Zweige, seines Laubs dämpfte. Wie ein Papierdrache hing er da, das Gesicht nach oben, und hörte dem Mond zugewandt die letzten Klagen der Hexe vertönen, während der Ballon sie in Spiralen wegriß, fort von dem Haus, fort von der Straße, der Stadt, in unmenschlichem Stöhnen. 
    Das breite Lächeln des Ballons, der breite Riß umfaßte nun alles, als er im Delirium hinging, um auf der Wiese zu sterben, von der er aufgestiegen war, niedersinkend zwischen die unwissenden, schlafenden, nichtsahnenden Häuser. 
    Lange Zeit konnte sich Will nicht regen. Er hing in den Zweigen zwischen Himmel und Erde, hatte Angst, sich zu bewegen und unten auf dem schwarzen Boden zu zerschellen, und wartete ab, bis sich der Schmiedehammer in seinem Schädel beruhigte. 
    Das Pochen seines Herzens konnte ihn schon losreißen, niederstürzen lassen, aber er war doch froh, es zu hören, weil er so wußte, daß er noch lebte. 
    Als er sich endlich beruhigt hatte, sammelte er seine Glieder zusammen, suchte sorgfältig nach einem Gebet und kletterte den Baum hinab. 

Einunddreißigstes Kapitel 
----
    Für den Rest dieser Nacht passierte nicht mehr viel. 

Zweiunddreißigstes Kapitel 

----
    Im Morgengrauen rollte ein schweres Donnergrollen funkensprühend über die steinigen Himmel. Sanft fiel der Regen auf die Kuppeln der Stadt, sprudelte aus den Traufen und flüsterte mit seltsamen unterseeischen Sprachen unter den Fenstern, hinter denen Jim und Will unruhig träumten. Sie glitten aus einem Traum in den anderen, doch alle waren aus demselben dunklen, stockigen Tuch geschneidert. 
    Im rauschenden Trommelwirbel ereignete sich noch etwas. 
    Draußen auf der durchweichten Zirkuswiese erwachten plötzlich die Karussells zum Leben. Aus der Zirkusorgel dampfte Musik. 
    Vielleicht hörte es nur ein Mensch in der Stadt und erriet, daß das Karussell wieder lief. 
    Die Tür zu Miss Foleys Haus öffnete sich und fiel wieder ins Schloß. Ihre Schritte eilten die Straße entlang. 
    Dann fiel prasselnd der Regen auf ein Land, das im irren Tanz der Blitze einmal auftauchte, dann wieder für immer untertauchte. 
    Bei Jim und Will klopfte der Regen gegen die Frühstücksfenster. Es wurde ruhig geredet, dann geschrien, dann wieder ruhig geredet. 
    Um neun Uhr fünfzehn schlurfte Jim hinaus ins Sonntagswetter. Er trug Regenmantel, Kapuze und Stiefel. 
    Er stand da und blickte zum Dach hinauf, wo die riesige Schneckenspur weggewaschen war. Dann starrte er so lange Wills Tür an, bis sie sich tatsächlich öffnete. 
    Will tauchte auf. Hinter ihm erklang die Stimme seines Vaters: "Soll ich mitkommen?" Will schüttelte entschlossen den Kopf. 
    Feierlich marschierten die beiden Jungen zum Polizeirevier. Die Himmel wuschen sie, und sie würden reden. Dann zu Miss Foley, wo sie sich noch einmal entschuldigen wollten. Aber im

Weitere Kostenlose Bücher