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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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sie beide die Töne durch die offene Haustür hereinwehen, vermischt mit dem Geruch nach frischem Regen und altem Gras. 
    Es war die Zirkusorgel, die drüben zwischen den Hügeln den Trauermarsch rückwärts spielte. 
    Jim öffnete die Tür weiter und stand mitten in der Musik, wie man im Regen steht. 
    "Das Karussell. Sie haben es gerichtet." 
    Will nickte. "Sie muß die Musik gehört haben und schon früh hingegangen sein. Dann ging etwas schief. 
    Vielleicht war das Karussell nicht richtig repariert. 
    Vielleicht gibt's immer wieder solche Unfälle. Wie der Blitzableiterverkäufer, den sie ganz umgekrempelt und verrückt gemacht haben. Vielleicht mag der Zirkus solche Unfälle, hat seinen Spaß dran. Oder vielleicht haben sie ihr auch absichtlich etwas angetan. Vielleicht wollten sie mehr über uns wissen, unsere Namen, wo wir wohnen; vielleicht wollte man sie zwingen, zusammen mit ihnen etwas gegen uns zu unternehmen. Wer weiß das schon? Vielleicht ist sie mißtrauisch geworden, oder sie hat's mit der Angst gekriegt. Dann haben sie ihr einfach mehr gegeben, als sie wollte oder verlangte." 
    "Ich verstehe nicht..." 
    Aber wie er in der Tür stand, im kalten Regen, da konnte er sich Miss Foley vorstellen, wie sie sich vor dem Spiegelkabinett fürchtete, wie sie erst vor kurzem allein auf dem Zirkusplatz war, wie sie vielleicht schrie, als man ihr das antat, immer und immer und immer wieder im Kreise herum, zu viele Jahre, mehr Jahre, als sie jemals loswerden wollte, bis sie verloren und nackt und klein war und sich selbst nicht wiedererkannte; bis dann schließlich all die Jahre dahin waren und das Karussell wie das Rad beim Roulett ausrollte. Bis alles verloren war und sie nichts gewonnen hatte, keinen Ort, an dem sie Zuflucht finden, keinen Menschen, dem sie das Seltsame sagen konnte. Nichts, nichts konnte sie mehr machen – nur weinen, allein unter einem Baum, allein im Herbstregen... 
    Das überlegte Will. Jim überlegte es auch: "Ach, die arme, arme..." 
    "Wir müssen ihr helfen, Jim. Wer wird ihr denn sonst glauben? Wenn sie zu jemandem sagt: ›Ich bin Miss Foley!‹, dann sagen sie doch alle: ›Hau ab! Miss Foley ist aus der Stadt verschwunden, weg mit dir, kleines Mädchen!‹ Jim, ich wette, sie hat an diesem Morgen schon an ein Dutzend Türen geklopft, um Hilfe gebettelt, die Leute mit ihrem Heulen und ihrem Geschrei erschreckt, bis sie es dann aufgab, weglief und sich unter diesem Baum versteckte. Vielleicht wird sie sogar schon von der Polizei gesucht – aber was nutzt das? Sie ist nur ein übergeschnapptes kleines Mädchen, das heult. Man wird sie irgendwo einsperren, und dann wird sie verrückt. 
    Diese Zirkusleute, die wissen schon, wie man jemandem was antut, daß er nicht zurückschlagen kann! Die schütteln dich durch und verändern dich, bis dich keiner wiedererkennt, dann lassen sie dich laufen. Geh ruhig, rede, die Leute haben ja doch zu viel Angst und hören dir gar nicht erst zu. Nur wir hören zu, Jim, nur du und ich. Im Augenblick ist mir, als hätte ich gerade eine rohe, glitschige Schnecke verschluckt." 
    Sie warfen einen letzten Blick in die Schatten des Regens am Fenster des Salons, in dem eine Lehrerin ihnen so oft Kekse und heiße Schokolade serviert hatte. Jetzt winkten nur die Regenschleier zurück, die sich riesengroß durch die Stadt bewegten. Dann traten sie hinaus, schlossen die Tür und rannten zurück zu dem leeren Bauplatz. 
    "Wir müssen sie verstecken, bis wir ihr helfen können..." 
    "Helfen?" keuchte Jim. "Wir können ja nicht einmal uns selbst helfen!" 
    "Es muß irgendeine Waffe geben. Vielleicht genau vor unserer Nase, und wir sind nur zu blind..." 
    Sie blieben stehen. 
    Das Pochen ihrer Herzen wurde von einem lauteren Herzklopfen übertönt. Blechtrompeten jaulten. Posaunen schmetterten. Eine Herde von Tubas brüllte wie Elefanten, die irgend etwas aufgereizt hatte. 
    "Der Zirkus!" keuchte Jim. "Daran haben wir nicht gedacht! Er kann mitten in die Stadt kommen! Ein Umzug, eine Parade! Oder vielleicht die Beerdigung, die ich geträumt habe – für den Ballon" 
    "Das ist keine Beerdigung, und es sieht auch nur nach einem Umzug aus. In Wirklichkeit suchen sie nach uns, Jim, oder nach Miss Foley; vielleicht wollen sie sie wiederhaben. Sie können durch jede beliebige Straße ziehen, trommeln, blasen und trompeten und dabei spionieren! Jim, wir müssen sie holen, bevor..." 
    Er

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